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Wie kann die durch Förderung begünstigte Sanierungswelle klimagerecht umgesetzt werden? Dieser Frage stellte sich das 4. Expertenforum des FSDE. Foto: Andrii Yalanskyi/stock.adobe.com

Gebäudesektor: Der schlafende Riese
„Der Gebäudesektor ist der schlafende Riese für den Klimaschutz in Deutschland“, betont Anna Wolff, Referentin Energie und Umweltschutz bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die hohe Relevanz lasse sich über mehrere Faktoren herleiten: Ein Drittel des Endenergieverbrauchs und 30 Prozent der Treibhausgasemissionen entfallen in Deutschland auf den Gebäudesektor. Den größten Anteil liegt in der Raumwärme. Bezieht man auch die Herstellung der Baumaterialien und die Entsorgung bei der Sanierung mit ein, kommen noch einmal acht Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland hinzu.
Der Schlüssel für das Erreichen der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 liegt für Anna Wolff in der Steigerung der Energieeffizienz, um dann den verbleibenden Energiebedarf über erneuerbare Energien decken zu können. Aktuell liege der Endenergieverbrauch bei durchschnittlich 130 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche, für die Erfüllung der Klimaziele sei aber eine Reduzierung auf ca. 60 Kilowattstunden notwendig. In den letzten zehn Jahren konnte dieser Verbrauch nicht reduziert werden, sondern stagnierte. Als Ursache nennt die DUH-Expertin die niedrige Sanierungsrate von einem Prozent, die auf drei Prozent ansteigen müsste. Zwar wurden im Schnitt pro Gebäude in Deutschland etwa 20.000 Euro investiert, dieser Betrag umfasse aber nicht nur „Dämmung“, sondern auch Maßnahmen wie den Austausch von Türen und Fenstern, Erneuerung der Heizung und Solarthermie/Photovoltaik und somit zum Teil auch Instandhaltungskosten.
Goldene Jahre im Stuckateurhandwerk
Geht es nach Rainer König, Vorstandsvorsitzender des Stuckateurverbandes in Baden-Württemberg, sind für die Handwerksbetriebe eigentlich die goldenen 20er Jahre angebrochen: „Wir bekommen viele Aufträge und die Nachfrage ist in diesem Jahr deutlich nach oben gegangen“. Der Haken: Nach Meinung des Geschäftsführers eines Stuckateurbetriebs war die Industrie nicht genügend auf die Sanierungswelle vorbereitet und es gab erhebliche Schwierigkeiten, die Dämmstoffe zu beschaffen. „Die Situation ist so schon schwierig genug. Es gibt zu wenige Energieberater, sodass Hausbesitzer lange auf Beratungstermine warten müssen. Anschließend werden sie aufgrund der unverhältnismäßigen Bearbeitungszeit für die Förderanträge weiter ausgebremst. Wenn es dann noch Lieferverzögerungen beim Material gibt, werden wir die drei Prozent Sanierungsrate sicher nicht schaffen“, prophezeit König. Für ihn ist eine Erhöhung des KfW-Effizienzstandards ein erstrebenswertes Ziel, aber in der Praxis sehr schwer umzusetzen: „Wir haben derzeit viele Sanierungsprojekte mit Energieeffizienzstandard 70. Wir müssen uns aber richtig anstrengen um den Standard zu erreichen und unsere Kunden überzeugen, dass Sie den auch Weg mitgehen“. Das sehe ich als große Aufgabe und Chance für das Fachhandwerk und ist unsere Verantwortung für die Erreichung der Klimaziele. Dafür ist es ganz entscheidend, dass die Fördermöglichkeiten ausgebaut und verstetig werden.
Förderungen nicht nur auf den Neubau konzentrieren
„Wir können sicher nicht den gesamten Altbau auf den EH 55 Standard Level bringen, sollten dies aber wo immer möglich tun. Daher wäre es umso wichtiger, dass beim Neubau noch höhere Standards eingeführt werden, damit wir im Schnitt in Deutschland einen EH 55 Level haben“, ergänzt Anna Wolff, und begrüßt daher auch die Einstellung der Neubauförderung EH 55 im Februar 2022. „Fast 60 Prozent der Förderung sind bisher in den Neubau geflossen und davon noch ein großer Teil in einen nicht konformen Standard. Der Neubau macht aber nur drei Prozent des Gebäudebestands aus.“
Nur Sanieren löst nicht alle Probleme
Diese Fördergelder sollten daher in den Bestand gehen und die richtigen Prioritäten gesetzt werden. „Diese Probleme spiegeln sich leider bei vielem wider. Es gibt eine Förderung für Elektroautos. Aber keinen E-Transporter mit Anhängerkupplung, den wir im Baubereich benötigen“, schildert Dachdecker Christoph Klein aus der Praxis. Und bei einer Altbausanierung auf den Standard 55 bestehe oftmals das Problem, dass die Bewohner*innen ihre Wohn, Heiz- und Lüftungsgewohnheiten nicht ändern und so nicht nur der erwünschte Effekt verpuffe, sondern oft Probleme mit Schimmel daraus resultieren: „Da fehlt die kontrollierte Be- und Entlüftung.“
Lange Lieferzeiten führen zu Unmut
Positiv bewertet Rainer König, dass bei den Hausbesitzer*innen durchaus ein Bewusstseinswandel stattgefunden hat: „Die Bereitschaft für Maßnahmen für den Klimaschutz und Energiesparen spüre ich deutlich bei meinen Kunden. Was sicher auch mit den höheren Kosten für Heizen und Energie zu tun hat.“ Es mangele also nicht an Aufträgen, aber die Rahmenbedingungen müssen auch vorhanden sein. Dazu gehören für Christoph Klein auch die fehlenden Handwerker-Kapazitäten. Dort beträgt die Wartezeiten zum Teil bis zu einem Jahr. Was aber sehr stark an der Verfügbarkeit des Materials liege. „EPS ist im Preis mindestens um 50 bis 60 Prozent gestiegen und die Lieferzeiten waren zu lang. Irgendwann verliert der Hausbesitzer dann die Lust an einer Sanierung“, befürchtet Christoph Klein. „Die Verfügbarkeit ist wieder besser geworden, aber war gerade Anfang des Jahres extrem – obwohl wir das Maximum unserer Produktionskapazitäten ausgereizt haben und am Anschlag gefahren sind“, sagt Klaus Köhler.
„Von einer solchen Steigerung der Nachfrage sind wir als Hersteller überrascht worden, aber wir haben wie das Handwerk eben auch nur begrenzte Kapazitäten. Ich denke, jetzt sind wir hier wieder auf dem richtigen Weg und können deutlich kürzere Lieferzeiten bieten“, zeigt sich Köhler optimistisch. Dennoch: „Es gibt einen Handwerker- und Materialmangel, egal um was es sich dreht. Bei einem Holzhaus mit KfW 40 ist die Lieferzeit bis zu zwei Jahre. Diese Diskrepanz muss dringend aufgelöst werden, damit wir die Klimaziele erreichen können“, ergänzt Köhler.
Nachwuchsmangel mit Folgen für Bestandssanierungen
„Die langen Lieferzeiten betreffen ja nicht nur die Baubranche – auf ein neues Elektroauto warten sie auch ein Jahr. Nur vom Handwerker wird immer sofort erwartet“, kommentiert Rainer König. Im Handwerk ist oft davon die Rede, dass die Ausbildung nicht attraktiv genug und zeitgemäß sei. Für König gibt es aber noch ein ganz anderes Problem: „In den nächsten zwei, drei Jahren werden viele Handwerker der 1960er-Jahrgänge in Rente gehen. Da werden nicht nur viele Kapazitäten, sondern auch viel Know-how verloren gehen“, befürchtet er – gerade auf den komplexen Bestand werde sich dies massiv auswirken und leider wird generell die Zahl der Handwerksbetriebe zurückgehen sowie mehr Scheinfirmen in den Markt drängen. Deshalb müsse man weiter ausbilden. „Wir haben ein eigenes Team im Betrieb, das seit zwei, drei Jahren nur damit beschäftigt ist, Baumängel bei Neubauten dieser Scheinfirmen zu beheben“, kritisiert auch Christoph Klein. Da gebe es Sanierungsbedarf bei Objekten, die noch keine zehn Jahre alt sind. Dank der Sublizenzierung lässt sich hier nur schwer gegensteuern. „Wir hatten selbst in der Hochdruckphase seit März keine Reklamationen, alles wurde verarbeitet. Es liegt also nicht an der Qualität von EPS, sondern an einer unsachgemäßen Handhabung solcher Firmen“, sagt Klaus Köhler.
EPS-Recycling noch ausbaufähig
Styropor hat in den Köpfen vieler Menschen noch immer ein Imageproblem. Auch für die Deutsche Umwelthilfe meint. „Alle Arten von Dämmstoffen sind wichtig für den Klimaschutz, eine technologieoffene Betrachtung ist wichtig, denn es gibt technisch unterschiedliche Anwendungsbereiche für unterschiedliche Dämmstoffe. Es gilt konkret über den gesamten Lebenszyklus zu schauen, welcher Dämmstoff für den konkreten Anwendungsfall der Beste ist. Sie alle amortisieren den Energiebedarf ihrer Herstellung aber in der Regel bereits innerhalb weniger Monate. Dabei geht es nicht nur um die Nutzungsphase, sondern den gesamten Lebenszyklus.“ Was natürlich ebenso das Recycling bei einer späteren Sanierung betrifft. „Alleine unser Unternehmen muss bis zu 40 Quadratmeter Verschnitt im Monat der Verwertung zuführen. Das ist alles ungenutztes Neumaterial, das vielleicht leicht verschmutzt ist, wir aber nicht wiedereinsetzen können“, bemängelt Christoph Klein.
„Jeder Systemdienstleister hat ein eigenes Rücknahmesystem. Das gesamte Restmaterial fließt bei EPS also in die Kreislaufwirtschaft und kann wieder neu verwertet werden. Selbst HBCD-haltiges Altmaterial kann dank der PSLoop-Anlage komplett recycelt werden. Diese Anlage ging allerdings erst in diesem Jahr an den Start, aber wir können inzwischen alle EPS-Rückstände der neuen Verwertung zuführen“, stellt Klaus Köhler klar. Die Deutsche Umwelthilfe begrüßt ein solches Projekt und wünscht sich, dass Anlagen wie PSLoop auch stärker in der Breite genutzt werden. Um das volle Umweltschutzpotential von Bau- und Dämmstoffen zu nutzen, müsse eine hochwertige stoffliche Kreislaufführung der Bau- und Dämmstoffe etabliert werden. Dazu gehört eine effektive Wiederverwendung, etablierte Rücknahme- und Recyclingstrukturen und ein verstärkter Einsatz von Rezyklaten bei der Herstellung der Bau- und Dämmstoffe.
Langfristiger Plan mit klaren Vorgaben
Aber auch die Wirtschaftlichkeit einer Sanierung stehe im Projektbau für Christoph Klein durchaus noch im Fokus und EPS kommt besonders im Dachbau eine Schlüsselrolle zu: „Bei neuen Aufträgen prüfen wir, ob wir auf dem vorhandenen Dämmstoff aufbauen können – was oftmals der Fall ist.“ Die Herausforderungen für eine Umsetzung der Sanierungswelle sind also durchaus groß und reichen weiter von zielkonformen Standards, verstetigter Förderung und fehlenden flächendeckenden Energieausweisen über eine sozial- und investitionsgerechte CO2-Bepreisung bis zur starken Konzentration auf Gebäude, die vor der ersten Wärmeschutzverordnung errichtet wurden.
Gerade einkommensschwache Haushalte wohnen wegen der geringeren Kaltmiete in energetisch schlechteren Gebäuden, sind aber stärker von den höheren Energiepreisen betroffen. „Aber gemeinsam mit der Industrie, dem Handwerk, der Politik und den Verbänden werden wir das alles meistern. Nicht einzeln, sondern gemeinsam und im Dialog“, zeigt sich Rainer König optimistisch. Damit stößt er bei Klaus Köhler auf offene Ohren: „Wir benötigen einen langfristigen Plan mit klaren Vorgaben, damit alle Beteiligten wissen, wo die Reise hingeht. Wenn alle zusammenwirken, dann ist das Ziel Schritt für Schritt zu erreichen.“ Dieser Leitfaden sollte von der Politik vorgegeben werden – und nicht nur für eine Legislaturperiode halten, erhofft sich Christoph Klein. Auch für Anna Wolff braucht es eine langfristige Planbarkeit: „Wie sieht der Pfad bis 2045 aus?“ Darin sollte für sie ein klares Bekenntnis zu Effizienz und Energieeinsparung an erster Stelle stehen.
Quelle: FSDE / Delia Roscher

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