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Insolvenzverwalter
Foto: Jochen Eisenbeis

Insolvenzverwalter Jochen Eisenbeis zu den Gründen für Zahlungsunfähigkeit. Foto: Jochen Eisenbeis

Mappe: Herr Eisenbeis, mancher Betrieb ging schon durch Betrüger pleite, etwa wegen Umsatzsteuerbetrug. Was sagen Sie dazu?
Eisenbeis: Das Mehrwertsteuerrecht ist eine tückische Falle, bei der es viele Facetten von vorsätzlichem Betrug bis zu richtigem Pech gibt. In einer global vernetzten, arbeitsteiligen Wirtschaft, in der Produkte für einzelne Wertschöpfungsschritte teils mehrmals die Grenzen wechseln, ist das Thema sehr komplex. Aktuell habe ich auch einen Fall, in dem ein Mandant auf der Mehrwertsteuer vermutlich sitzen bleibt, weil sie ihm sein britischer Kunde nicht erstattet. Der Grund: Er hätte die Ware nach Bearbeitung nach England zurücksenden müssen und nicht gleich nach Belgien weiterleiten dürfen.
Mappe: Wie beugt man solchen Fehlern vor?
Eisenbeis: Wer regelmäßig mit der Thematik befasst ist, kennt in der Regel die Fallstricke. Jeder andere sollte sich in der Akquisephase bei seinem Steuerberater, seiner Innung oder anderen Experten kundig machen. Das gilt grundsätzlich: Machen Sie sich schlau, wenn es um Ihr Geld geht, auch wenn Sie lieber Aufträge abarbeiten und in der Produktion tüfteln.
Mappe: Im konkreten Fall hatte der Metallbauer auch einen Solarpark im Wert von 600.000 Euro verloren, der seine Altersvorsorge war. Wie hätte er das vermeiden können?
Eisenbeis: Wie bei immobilien hätte die Ehefrau im Grundbuch eingetragen sein müssen als alleinige Eigentümerin – und für die Firmenkredite hätte sie nicht mit haften dürfen. Mit einer Klausel kann der Unternehmer sogar ausschließen, dass er diesen Besitz verliert, wenn sich seine Frau von ihm trennt. Mit guten Beratern kann man da viel gestalten. Das gilt auch für eine private Altersvorsorge nach § 851c ZPO, bei der bis zu 256.000 Euro vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt sind.  
Mappe: Was sind die häufigsten Gründe einer Insolvenz?
Eisenbeis: Das ist zu 60 Prozent fehlendes kaufmännisches Wissen. Da gibt es keine seriöse Kalkulation, kein Controlling, kein Cash-Management, kein Forderungsmanagement und meist viel zu kurze Kreditlinien. Ich betreue aktuell einen Malerbetrieb, der bei zwei Millionen Euro Jahresumsatz bei seiner Bank eine Kreditlinie von 100.000 Euro hat und jetzt in Schwierigkeiten ist.
Mappe: Wo liegt sein Problem?
Eisenbeis: Der Dienstleister von Großaufträgen sagt mir, auch in guten Zeiten sei das Geld immer schon knapp gewesen. Der Grund: Im Schnitt finanziert er jeden Auftrag drei Monate vor. Das sind bei einem Monatsumsatz von 160.000 Euro 480.000 Euro. Also müsste seine Kreditlinie schon längst bei 0,5 Mio. Euro liegen. Als er aber jetzt zur Hausbank kam, sagten die ihm, das Risiko sei ihnen zu groß. Sein Fehler war: Er hätte vor vier, fünf Jahren als neue Aufträge und Wachstum vorlagen, mit der Bank über eine erweiterte Kreditlinie sprechen müssen.
Mappe: Und was macht der Malerbetrieb jetzt?
Eisenbeis: Wir können ihn nochmal zu seiner Bank begleiten oder ihm eine zweite Hausbank vermitteln, die sich das Risiko mit der ersten teilt. Aktuell ist es nicht aussichtsreich, bei Bestandskunden Abschlagszahlungen nachzuverhandeln, aber bei Neukunden will mein Mandant das künftig mit hineinverhandeln und stattdessen lieber bei den Konditionen zwei, drei Prozent nachgeben. In der akuten Phase kommt frisches Geld verhältnismäßig rasch herein, wenn der Handwerker gebrauchte Maschinen ins Leasing gibt; Forderungen mit Abschlag an eine Factoringgesellschaft verkauft oder Waren über Finetrading ordert. Alternativen wären, selbst privates Geld einzulegen oder neue Sicherheiten einzubringen, die die Bank beleiht. Schließlich können Freunde oder befreundete Firmen Risikokapital gut verzinst einlegen oder der Inhaber verkauft eine Beteiligung. Möglichkeiten gibt es immer viele, aber man muss sie kennen, auch ihre Vor- und Nachteile und wie sie im Prozess wirken.
Mappe: Was sind weitere Gründe für Insolvenzen?
Eisenbeis: Ein Fünftel aller Pleiten entfällt in unserer 60-köpfigen, bundesweit tätigen Kanzlei auf überalterte Geschäftsmodelle. Da wursteln Handwerker über Jahrzehnte weiter, ohne den Markt und neue Mitbewerber zu beobachten. Wir hatten einen Mandanten, der auf die Reparatur von Vergasern spezialisiert war. Der hatte gar nicht mitbekommen, dass Hersteller aus Fernost gleichwertige Vergaser neu zum selben Preis anboten, zu dem er reparierte. Frühindikatoren sind zum Beispiel, wenn die Marge schwindet und die Nachfrage kontinuierlich sinkt.
Mappe: Und was ist in den verbleibenden Fällen?
Eisenbeis: Auf je zehn Prozent würde ich die Fälle beziffern, in denen Handwerker einerseits Betrügern aufsitzen und andererseits einfach nur richtig viel Pech haben. Hierher gehört aber auch, wenn mein größter Kunde selbst zahlungsunfähig wird und womöglich noch ein sechsstelliger Betrag von ihm aussteht. Oder wenn der Chef von jetzt auf nachher arbeitsunfähig wird und als Pflegefall womöglich noch die Chefin privat absorbiert.
Mappe: Aber auch diesen Risiken kann man vorbeugen.
Eisenbeis: Ja, durch Diversifizierung von Produktpalette oder Kundenstruktur; Versicherung gegen bestimmte Schadensfälle oder Qualifizierung von Mitarbeitern als Mitunternehmer. Aber all das geht in den strategischen Bereich von Risikoabwägung, Mitarbeiterführung, Kennziffernerhebung oder Liquiditätsmanagement. Handwerker brauchen so oder so mehr kaufmännischen Sachverstand in- wie extern – und der muss auch Zeit und Geld kosten dürfen.
Mappe: Geben Sie dafür noch ein Beispiel?
Eisenbeis: Wir betreuen aktuell einen Metallbauer, der Serien für die Bauindustrie und andere Branchen produziert. Der liefert auf Grund der Wirtschaftskrise aktuell am Tag vielleicht noch fünf statt 100 Teilen aus. Diese Entwicklung war absehbar. Aber der Inhaber hat nicht gehandelt, sondern gehofft. Er hätte zum Beispiel Personal abbauen können oder neue Geschäftsfelder erschließen. Jetzt rettet ihn zwar kurzfristig Kurzarbeit, aber seine Verwaltung ist noch immer auf die alte Größe ausgelegt. Solche Zusammenhänge sehen Handwerker oft nicht.
Mappe: Was können Handwerker tun, wenn es fünf vor 12 Uhr ist?
Eisenbeis: Jeder Einzelfall ist anders. Aber der Gesetzgeber hat neue Möglichkeiten zur Restrukturierung geschaffen, die man allerdings kennen und anwenden muss. Der Restrukturierungsplan funktioniert ähnlich wie die Insolvenz, aber der Inhaber bleibt Herr des Verfahrens. Ähnlich ist die Insolvenz in Eigenregie, bei der auch der Inhaber an Bord bleibt. Der Sachwalter analysiert die Schwachstellen, berät den Inhaber und übernimmt die unangenehmen Parts wie Kündigungen aussprechen, mit Gläubigern und Banken verhandeln. Wir korrigieren an den Stellschrauben, an denen es der Chef allein nicht hinbekommt.
 
Dieses Interview führte Leonhard Fromm für die Mappe.

Foto: manuta/Adobe Stock
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