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Im Mappe-Interview: Jan Büchel, Economist, Kompetenzfeld Digitalisierung, Strukturwandel und Wettbewerb am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln e.V. Foto: IW Medien

Katalysator für die Digitalisierung „Corona wirkt wie ein Katalysator für einen Prozess, der schon lange im Gang war. Leute, die gestern noch skeptisch waren in puncto Online-Banking kaufen heute schon ihre Küche online. Das Internet ist auch für große Anschaffungen nicht mehr nur ein reiner Informationskanal, sondern längst auch ein wichtiger Vertriebsweg“, weiß Robin Behlau, Gründer und Geschäftsführer von Aroundhome, dem größten deutschen Vermittler für Produkte rund ums Haus auf Capital online. Bis vor kurzem sei es für die meisten Menschen unvorstellbar gewesen, eine Küche ausschließlich online zu planen, ohne auch nur einmal ein Küchenstudio besucht zu haben. „Und doch verkauften wir mit unseren Partnern dank innovativer Beratung via Video Call inklusive Online-Planungstools auch in der Shutdown-Phase weiter Küchen.“
Digitalisierung im Alltag Nicht nur der Online-Handel verzeichnete einen gigantischen Aufschwung. Die Digitalisierung hat sich in der Krise in vielen Bereichen als alltagstauglich erwiesen, seien es Videokonferenzen, Online-Kurse, virtuelles Yoga, E-Learning und das Home-Office. Viele Menschen, auch ältere, entdecken die Online-Welt für sich.
Seit dem Ausbruch des Coronavirus habe mehr als ein Viertel der Internetnutzer (26 Prozent) erstmals Online-Lernvideos geschaut, etwa auf YouTube oder Vimeo. Gut jeder Fünfte (22 Prozent) habe seitdem zum ersten Mal an Online-Sportkursen teilgenommen. Und mehr als jeder Sechste (17 Prozent) gebe an, dass er mit Beginn der Pandemie erstmals Online-seminare zur privaten Weiterbildung besucht hat. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, die im April 2020 durchgeführt wurde.
„Die Unternehmen werden den Digitalisierungsschub der letzten Monate fest verankern.“ stellte Jan Büchel, Economist, Kompetenzfeld Digitalisierung, Strukturwandel und Wettbewerb am Institut der Deutschen Wirtschaft Köln e.V., fest. Im ausführlichen Interview vertieft er die Digitalisierung der Gesellschaft:
Mappe: Die Pandemie ist der Stresstest für die Digitalisierung in Deutschland, schreibt das IW. Wo ist das Stresspotenzial am größten und was ist weniger schwierig in der Umsetzung?
Jan Büchel: Die Pandemie hat insbesondere im Bereich der schulischen Bildung Defizite bei der Digitalisierung offenbart. Zwar haben Schulen und Lehrpersonal versucht, das Lernen schnell zu digitalisieren, aber hier waren die Möglichkeiten doch an vielen Stellen begrenzt und Eltern haben kompensiert, was die Schulen digital nicht leisten konnten. An anderen Stellen, etwa bei Büroarbeitsplätzen, ist die Digitalisierung in Deutschland schon deutlich weiter: Viele Unternehmen haben Homeoffice ermöglicht, auch an Arbeitsplätzen, an denen das zuvor nicht üblich war. Grundsätzlich zeigt sich auch während der Pandemie: Eine gute Infrastruktur ist entscheidend für den Erfolg der Digitalisierung. Hier bestehen gerade im ländlichen Raum in Deutschland noch große Defizite.
Mappe: In welchen Bereichen der Gesellschaft gab es den größten Digitalisierungsschub durch Corona?
Jan Büchel: Große Veränderungen gab es insbesondere bei den Personen, die das Internet vor der Pandemie weniger intensiv genutzt haben. Grund ist der oft notwendige Umstieg auf digitale Alternativen, den vor allem der Lockdown verursacht hat. Als dieser beispielsweise den stationären Handel weitestgehend zum Erliegen brachte, blieb für die Konsumenten oft nur eine Alternative: Der Umstieg auf den Onlinekauf. Aber auch Unternehmen nutzen die Digitalisierung während der Krise für sich und ermöglichen Arbeiten von zu Hause in großem Umfang.
Mappe: Wohin geht die Reise 2020 und 2021, was ist Trend in Sachen Digitalisierung in der deutschen Gesellschaft und in den Unternehmen?
Jan Büchel: Die Unternehmen werden den Digitalisierungsschub der letzten Monate fest verankern. Grund ist die neu erlangte Flexibilität, die beispielsweise das Arbeiten aus dem Homeoffice ermöglicht: Besprechungen können digital über Videokonferenzen erfolgen oder es kann von überall auf benötigte Dateien zugegriffen werden. Aber auch Arbeitnehmer werden die neu gewonnene Flexibilität nicht missen wollen. Beispielsweise werden durch Homeoffice lästige Pendelzeiten vermieden. Möglicherweise setzt sich der Trend zum Arbeiten von zu Hause fort und wir sehen es auch nach Corona deutlich öfter als vorher.
Mappe: Sie schreiben, die Corona-Krise bringe die Vor- und Nachteile der Digitalisierung auf den Punkt: Was sind die entscheidenden Vorteile und was die größten Defizite in den Unternehmen?
Jan Büchel: Digitalisierte Unternehmen können effektiver auf wegbrechende Lieferketten reagieren. Dabei begünstigen intelligent miteinander vernetzte Maschinen und ein Datenaustausch in Echtzeit die Reaktions- und Handlungsfähigkeit der Unternehmen. Die Pandemie hat auch die enormen Potenziale des Onlinehandels zum Vorschein gebracht: Einzelhändler verzeichneten deutliche Umsatzeinbußen, wenn sie ihre Produkte während des Lockdowns nur stationär und nicht online angeboten haben. Gleichzeitig offenbart die Corona-Krise aber auch die Grenzen der bisherigen Digitalisierung in den Unternehmen. Wer nicht vor der Krise schon in die für die Digitalisierung notwendige Technik investiert hat, dem standen während der Krise auch weniger Anpassungsmöglichkeiten der Produktion oder auch der Arbeitsorte zur Verfügung.
Mappe: Viele fühlen sich durch die Pandemie zur Digitalisierung gezwungen. Welche Dynamik wird durch solche Zwänge ausgelöst?
Jan Büchel: Der Digitalisierungsschub hat auf Schwachstellen in den Unternehmen hingewiesen, die sonst erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgefallen wären. Folgerichtig tätigen viele Unternehmen nun Investitionen, die auch schon früher sinnvoll gewesen wären. Dies stärkt wiederum ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Schnelle Entscheidungen bergen allerdings stets die Gefahr von Fehlinvestitionen. Letztere sind insbesondere dann wahrscheinlicher, wenn es noch keine Standards als Leitlinien gibt. Nicht zu investieren, ist allerdings aus Unternehmenssicht auch keine dauerhafte Alternative. Dies birgt die Gefahr, zurückgelassen zu werden und zukünftig nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. Es gilt daher während, aber vor allem auch nach der Krise die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft weiter voranzutreiben.
Mappe: Wo bestehen noch immer die größten Vorbehalte gegen die Digitalisierung in der Gesellschaft und in den Unternehmen und wie kann ihnen begegnet werden?
Jan Büchel: Ein wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang wohl immer noch die Unsicherheit im Umgang mit Daten und das daraus resultierende Misstrauen. Der Umgang mit personenbezogenen Daten ist durch die Datenschutzgrundverordnung auf europäischer Ebene zwar rechtlich weitestgehend geklärt, jedoch zeigt beispielsweise die Debatte um die Corona-App, wie sensibel die Bürgerinnen und Bürger weiterhin auf die Freigabe ihrer personenbezogenen Daten reagieren. Im Unternehmenskontext ist die Eigentumsfrage an nicht-personenbezogenen Daten jedoch rechtlich nicht geklärt, so dass vertragliche Lösungen notwendig sind. Hier brauchen gerade kleine und mittlere Unternehmen stärkere Unterstützung.
Mappe: Was sagen Sie Unternehmern, die die Kosten für die Digitalisierung und für die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter scheuen bzw. sich nicht leisten können?
Jan Büchel: Kurzfristig ist es durchaus verständlich, dass Unternehmen auch aufgrund von Finanzierungsengpässen im Zuge der Pandemie derzeit nicht oder nur in abgeschwächtem Umfang breite Investitionen beispielsweise in Fortbildung der Digitalisierungskompetenzen ihrer Mitarbeiter tätigen können. Jedoch sollten sie darauf achten, den Anschluss nicht zu verlieren. Mittel- bis langfristig sollten Unternehmen sich digitalisieren, vor allem wenn die Digitalisierung im sonstigen Marktumfeld eine große Rolle spielt, auch um wettbewerbsfähig zu Konkurrenten zu bleiben und nicht aus dem Markt verdrängt zu werden.
Mappe: Vielen Dank für das Interview.
In der Mappe 9.2020 lesen Sie den umfangreichen Beitrag zum Trend Digitalisierung.

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