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Im Interview: Ralf Pasker, Geschäftsführer Europäischer Verband für Wärmedämm-Verbundsysteme EAE. Foto: Privat

Energie- und ressourcenschonendes Bauen und Renovieren ist ein Maßnahmenpaket des Green Deal der EU. Der steht für die klimaneutrale Gestaltung Europas bis zum Jahr 2050, was bedeutet, dass die EU tatsächlich bis zur Mitte dieses Jahrhunderts nicht mehr CO2 erzeugt, als sie an anderer Stelle wieder bindet.
Am 16. September 2020 hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union gefordert, die Treibhausgase der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Bisher lautet das offizielle Ziel minus 40 Prozent. Die Verschärfung auf „mindestens 55 Prozent“ soll helfen, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten und die gefährliche Überhitzung der Erde zu stoppen. Das neue Ziel muss aber noch mit dem EU-Parlament und den EU-Staaten geklärt werden.Die ambitionierten Klimaziele der EU können nur mit der Gebäudemodernisierung erreicht werden, denn für den Bau, die Nutzung und die Renovierung von Gebäuden sind erhebliche Mengen an Energie und Ressourcen wie Sand, Kies und Zement erforderlich. In Deutschland gibt es 21 Millionen Gebäude. Sie benötigen 35 Prozent des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs und produzieren 30 Prozent aller CO2-Emissionen. „Der größte Anteil des Energieverbrauchs in Gebäuden entfällt auf Wohnhäuser: In Ein- und Zweifamilienhäusern werden 39 Prozent der gesamten Energie genutzt, Mehrfamilienhäuser schlagen mit 24 Prozent zu Buche. Die restlichen 37 Prozent am Gebäudeenergieverbrauch gehen auf das Konto der Nichtwohngebäude“, schreibt die Deutsche Energie-Agentur. Der Gebäudebereich bietet also große Energieeinsparpotenziale. „Etwa 63 Prozent der Wohngebäude in Deutschland sind vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1979 errichtet worden. Folglich sind die Effizienzpotenziale bei älteren Häusern besonders hoch: Sie verbrauchen bis zu fünf Mal mehr Energie als nach 2001 errichtete Neubauten, die einen Energieverbrauch von durchschnittlich ca. 85 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²a) aufweisen“, stellt die dena fest.
Details zur Renovation Wave beschreibt Ralf Pasker, Geschäftsführer des Europäischen Verbandes für Wärmedämm-Verbundsysteme (European Association of ETICS, EAE) im Interview.
Mappe: Was verspricht sich die Baubranche von der Renovation Wave?
Ralf Pasker: Als europäischer Verband setzen wir uns gemeinsam mit Partnern der Initiative Renovate Europe und unseren Mitgliedern dafür ein, dass sich die Modernisierungsrate in ganz Europa mindestens verdoppelt, eher verdreifacht. Da sieht die Situation in den meisten Ländern kaum anders aus als in Deutschland. Eine EU-weite Studie hat kürzlich gezeigt, dass die tatsächlichen Raten meist unter einem Prozent liegen. Und dabei wurden bereits kleinere Maßnahmen berücksichtigt. Ohne eine deutliche Steigerung der Sanierungsbreite und -tiefe, so die Studie, kann der Beitrag des Gebäudesektors zu den EU-Klimazielen 2050 nicht erreicht werden. Mehr noch: Die meisten Technologien stehen heute schon zur Verfügung. Daher spricht die Europäische Kommission davon, durch neue Impulse „schnell und besser“ aus der wirtschaftlichen Krise zu kommen. Die Baubranche bietet dazu beste Voraussetzungen.
Mittel- und langfristig brauchen wir jedoch kein Strohfeuer. Vielmehr erwarten alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette am Bau sowie die Eigentümer langfristig verlässliche Rahmenbedingungen, um die richtigen (Investitions-)Entscheidungen treffen zu können. Die Renovation Wave sollte – um im Bild zu bleiben – eher ein kontinuierlicher breiter Fluss werden.
Mappe: Welche Rolle spielt die Wärmedämmung in der Renovation Wave europaweit?
Ralf Pasker: Neun von zehn heute bestehenden Gebäuden werden auch im Jahr 2050 noch genutzt werden. Die meisten davon wurden bereits vor 1980 errichtet und sind nicht oder kaum gedämmt. Insofern schlummert in der Dämmung der gesamten Gebäudehülle ein großes Potenzial, um die Energieeffizienz zu verbessern. So verwundert es nicht, dass das Thema in den meisten EU-Mitgliedsstaaten bei den angestrebten Maßnahmen und Förderprogrammen sich einer steigenden Aufmerksamkeit erfreut.
Das attraktive italienische steuerliche Förderprogramm Superbonus (Ecobonus 110) beispielsweise hat nach Informationen unserer dortigen Kollegen ein hohes Interesse an Wärmedämmung mit WDVS hervorgerufen. Auch wenn sich das noch nicht sofort in einem boomenden Markt niederschlägt: Man spricht darüber und macht sich Gedanken. Wärmedämmung ist positiv belegt. Das wird kurz- bis mittelfristig zu Aufträgen führen. Auch in Frankreich ist das Thema bereits oben auf der Agenda.
Gemeinsam mit Renovate Europe sind wir aktuell dabei, mit unseren nationalen Mitgliedern die Wärmedämmung in den Förderpaketen für die Ankurbelung der Wirtschaft zu verankern. Die geplanten Maßnahmen je Mitgliedsland entscheiden über die Verteilung der EU-Fördertöpfe.
Mappe: Sie sagen Mittel aus dem Renovation Fund für kleinere Bauvorhaben werden eher auf nationaler Ebene im Rahmen von Förderprogrammen oder europäisch geförderten Initiativen zu bekommen sein. Inwiefern können kleine Handwerksbetriebe überhaupt davon profitieren oder ist das eher etwas für Großprojekte und die Großen in der Baubranche?
Ralf Pasker: Die Idee von Renovate Europe für einen Renovation Fund, aus dem direkt Mittel für Projekte abgerufen werden können, sollte sicherstellen, dass finanzielle Hilfe zur Wiederbelebung der Wirtschaft schnell und unbürokratisch fließt. Vor dem Hintergrund massiver Konjunktureinbrüche in einigen Nachbarländern war uns das im Sommer ein wichtiges Anliegen. Diese Botschaft konnten wir auch bis zu den Spitzen von Kommission und Europäischem Rat tragen.
Während des EU-Gipfels Ende Juli haben die Europäische Kommission und die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten ein anderes Konzept ausgehandelt: Der Fond „Next Generation EU“ soll in den Jahren 2021 bis 2023 allen Staaten immense Mittel für Konjunkturmaßnahmen zur Verfügung stellen. Dazu stellen die Mitgliedsstaaten jeweils individuelle Förderprogramme auf, die in Brüssel geprüft und genehmigt werden. Dabei ist eine zentrale Anlaufstelle in Brüssel vorgesehen, die Mitgliedsstaaten bei der Ausarbeitung der Pläne hilft. Mindestens 30 Prozent der Mittel müssen für „Green Deal“ Maßnahmen eingestellt werden. Erst dann erfolgt die Auszahlung. Wenn das Europaparlament zustimmt, sollen die ersten Raten im Frühjahr 2021 überwiesen werden.
Wir sind insofern nicht unzufrieden als auf diese Weise die Mitgliedsstaaten Konjunkturprogramme auflegen können, die zur Situation im jeweiligen Land passen. In einem engen Austausch mit unseren Mitgliedsverbänden und Firmenmitgliedern sind wir bemüht, über die nationalen Partnerinitiativen von Renovate Europe im politischen Dialog Maßnahmenpakete vorzuschlagen, die Großprojekte wie kleinere Projekte gleichermaßen fördern. Das wäre beim ursprünglich angedachten Konzept schwieriger gewesen und kommt den Anliegen der kleineren Handwerksbetriebe entgegen.
Mappe: Wie passen Wärmedämm-Maßnahmen mit Polystyrol mit den Umweltzielen des Green Deals zusammen?
Ralf Pasker: Die Mitglieder der EAE stehen für eine große Vielfalt an WDV-Systemen. Die unglaublichen Möglichkeiten zur individuellen Gestaltung von Fassaden sind ein großes Plus. Sie ermöglichen die Anpassung an kundenindividuelle Wünsche ebenso wie die Erfüllung unterschiedlicher bauaufsichtlicher Anforderungen.
Durch den sehr langen Lebenszyklus tragen alle Systeme zu einer erheblichen Einsparung von CO2 im Laufe ihrer nachgewiesenen jahrzehntelangen Lebensdauer bei. Wir erleben seit Jahren, dass durch die Aufdoppelung älterer Fassaden die Nutzungsdauer sogar noch verlängert wird – zunächst in Deutschland und zunehmend in anderen Ländern Europas. Auch das ist ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Alle Systemkonfigurationen unterstützen somit die Ziele des Green Deal.
Außerdem nimmt die Branche ihre Verantwortung für das Ende des Lebenszyklus ernst und beschäftigt sich bereits seit Längerem damit. Wir arbeiten an Lösungen, die den stoffspezifischen Unterschieden der einzelnen Komponenten Rechnung tragen. Das schließt den gesamten Prozess des Rückbaus und nachgelagerter Schritte ein. Der Circular-Economy-Action-Plan der EU hebt das Thema nun auch auf die europäische Bühne. Ich bin überzeugt, dass wir Lösungen auch im großen Stil haben werden, sobald größere Rückbaumengen anfallen. Das ist in der WDVS-Anwendung wegen der langen Lebensdauer der Systeme und der Gebäude, auf denen sie angebracht sind, heute noch nicht der Fall. Mit Forschungs-, Pilot- und Demoprojekten wird die Umsetzung in die Großanwendung bereits erprobt.
Mappe: Vielen Dank für die Antworten, Herr Pasker.
Im Brennpunkt der Mappe 11.2020 lesen Sie mehr zum Thema, aber auch über die sich aus der Renovation Wave ergebenden Chancen für das Handwerk.

Foto: manuta/Adobe Stock
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