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22. Juni 2023
Redaktion
Interview

Lasst uns das Image polieren

Der Malerberuf hat ein Imageproblem. Felix Winkler will dies ändern. Der Leiter der Stuttgarter Schule für Farbe und Gestaltung fördert seine Schüler, trommelt bei der Politik und will dem Beruf einen modernen Anstrich geben. Sogar eine neue Berufsbezeichnung hatte er ins Gespräch gebracht. Größtes Pfund des Handwerks ist aus seiner Sicht die Weiterbildung – und Hauptgegner das Studium.
Felix
Foto: Lichtgut
Felix Winkler, Schulleiter der Schule für Farbe und Gestaltung in Stuttgart.

Herr Winkler, wie steht es um den Maler- und Lackierer-Nachwuchs?

Felix Winkler: Schlecht. Die Schülerzahlen sinken kontinuierlich. Bei uns, aber auch überall sonst. Vor 20 Jahren hatten wir bundesweit noch 65.000 Schülerinnen und Schüler jährlich im Malerhandwerk, heute sind es weniger als 20.000. Ich kenne etliche Betriebe, die händeringend Azubis suchen. Wer dort heute anruft, kann morgen ein Praktikum machen – und bekommt anschließend mit großer Wahrscheinlichkeit einen Ausbildungsplatz.

Das geht derzeit auch vielen anderen Gewerken so.

F. Winkler: Natürlich. Das ist nicht unbedingt ein malerspezifisches Problem. An den 16 gewerblichen und hauswirtschaftlichen Schulen in Stuttgart, für die ich als geschäftsführender Schulleiter verantwortlich bin, haben wir heute noch 1.450 Fachschülerinnen und -schüler. In der Spitze vor zehn Jahren waren es rund 2.500. Mit anderen Worten: 50 Fachschulklassen sind uns in dieser Zeit verloren gegangen. Ganze Berufe sind verschwunden.

Welche?

F. Winkler: Zum Beispiel der des Keramikers und des Industriekeramikers. Einst waren wir an unserer Schule hier dreizügig. Zuerst kamen dann ab 2010 mangels Schülerzahlen die Fachschulklassen nicht mehr zustande. Damit war die Weiterbildung zum Meister oder Techniker nicht mehr möglich. Anschließend ist vor acht Jahren auch die Berufsausbildung zusammengebrochen.

Und diesen Zusammenhang sehen wir immer wieder: Wenn es in einem Beruf keine Aufstiegsperspektiven mehr gibt, weil die Schulen dieses Angebot nicht mehr vorhalten können, dann wird auch die gesamte duale Ausbildung unattraktiver, das Interesse der jungen Menschen daran sinkt. Dies lässt sich auch bei Berufen beobachten, in denen der Meisterzwang aufgehoben wird, etwa vor Jahren beim Fliesenleger. Nachdem dieser Schritt anschließend wieder rückgängig gemacht wurde, stiegen in Folge auch die Zahlen wieder. Im Falle unserer Industriekeramiker kam allerdings als Hauptgrund hinzu, dass Duravit als großer Arbeitgeber die Produktion nach China verlagert hatte.

Und wenn ein Beruf nicht mehr ausgebildet wird, dann dauert es anschließend noch etwa zwei Generationen, bis das Know-how dazu komplett verloren ist. Heute gibt es zum Beispiel nur noch eine einzige Keramiker-Schule in ganz Deutschland. Und das in einer Zeit, in der handwerkliche Keramik wieder vermehrt gefragt ist. Das ist im Kleinen nicht anders als im Großen, etwa bei der Photovoltaik.

Von den Kammern und der Politik wird dieser Zusammenhang zwischen Aufstiegsperspektiven – auch hinsichtlich der Gründung oder Übernahme von Betrieben – und der Attraktivität der dualen Ausbildung insgesamt bislang noch nicht ausreichend erkannt.

In der Malerausbildung ist dies allerdings nicht zu befürchten, oder?

F. Winkler: Noch nicht. Doch wenn wir angesichts sinkender Zahlen die vorgeschriebene Mindestschülerzahl in den Fachschulklassen nicht mehr zusammenbekommen, keine Meister-, Techniker-, Gestalter- oder Betriebsmanager-Weiterbildungen mehr anbieten können, dann wird aus der genannten Logik heraus auch das Interesse an der Ausbildung an sich weiter sinken. Da bin ich mir ziemlich sicher. In manchen Gewerken gibt es bereits gar keine Weiterbildung mehr, da sind wir Maler und Lackierer*innen sogar noch halbwegs stabil.

Wie sehen die Zahlen hier konkret aus?

F. Winkler: Insgesamt sind in Stuttgart dieses Schuljahr 32 Prozent der Fachklassen akut gefährdet, 2019 waren es erst 17 Prozent. Wir haben zwar gemeinsam erreicht, dass die Stuttgarter Fachschulen seit 2020 schulgeldfrei sind, also kostenlos. Das hat die Rückgänge ein wenig verlangsamt. Doch völlig aufhalten können solche Maßnahmen die Entwicklung nicht. Das Potenzial an jungen Menschen muss da sein.

Schüler*innen
Foto: Schule für Farbe und Gestaltung in Stuttgart
Ein starkes Team: Schüler*innen präsentieren sich mit eigenem Stand auf der Euroshop in Düsseldorf.

Heute arbeiten im Malerhandwerk auch viele Geflüchtete. Bringt das Entlastung?

F. Winkler: Ja und nein. Dass sich die Ausbildungszahlen seit 2016 etwas stabilisiert haben und nur noch leicht gesunken sind, ist vor allem Geflüchteten zu verdanken, die heute rund 20 Prozent der Schüler bundesweit ausmachen. In meinen Klassen waren es teilweise sogar 50 Prozent. Doch das bringt neue Probleme mit sich – vor allem sprachliche. Auch wenn die Praxis für die Geflüchteten oft keine große Hürde darstellt, tun sie sich in der Berufsschule aufgrund fehlender Deutschkenntnisse schwer. Wir hatten hier in Stuttgart sogar extra einen zweiten Berufsschultag eingerichtet, um die Defizite zu kompensieren. Doch das stieß wiederum nicht bei allen Betrieben auf Gegenliebe, die ihre Mitarbeiter ja auch auf den Baustellen brauchten.

Wo sehen sie weitere Hebel, um den Exodus zu stoppen?

F. Winkler: Der wichtigste Hebel: Wir müssen das Image aufpolieren. Zwar hat das Handwerk in jüngster Zeit wieder an Wertschätzung gewonnen – angesichts des Handwerkermangels vor allem bei den Kunden. Doch bei der Berufswahl geht es weniger um das Image des Berufs an sich, sondern um das vermutete Image des Berufsinhabers. Beispielsweise hat angesichts der allgegenwärtigen Aufbackware der handwerkliche Bäcker vor Ort vermutlich ein gutes Image. Doch wenn ich den Beruf ausübe, etwa als Bäckerlehrling, der um vier Uhr aufstehen muss, werde ich in meinem Umfeld eher nicht beneidet. Und meine Eltern raten mir davon ab.

Also hilft am Ende selbst ein gutes Image nicht?

F. Winkler: Die Zukunft der Kinder wird häufig in den Elternhäusern entschieden. Da soll das eigene Kind dann vielleicht doch lieber nicht bei Wind und Wetter arbeiten und Farbeimer schleppen müssen – sondern es vermeintlich besser haben. Doch das ist häufig ein Trugschluss. Mittlerweile gibt es in Deutschland fast 22.000 verschiedene Studiengänge. Das muss man sich mal vorstellen. Aber längst nicht alle Absolventen schaffen es in die erhofften angenehmen und gut bezahlten Jobs. Für viele wäre eine solide Handwerksausbildung vielleicht die bessere Alternative.

Zurück zu den Malern: Was könnten die Branche und die Schulen hier konkret tun?

F. Winkler: Zum Beispiel die Abbrecherquote senken. Denn die ist bei den Malern und Lackierern vergleichsweise hoch. Von etwa 70, die bei uns im Jahr anfangen, machen vielleicht 40 nach drei Jahren den Abschluss. Ein Drittel geht uns bereits im ersten Jahr verloren. Das tut mir immer etwas weh – auch für die jungen Leute. Und nach der Ausbildung bleiben dann vielleicht noch 10 bis 15 wirklich dem Malerhandwerk erhalten. Die anderen wandern ab, gehen woanders zum Schaffen, in die Industrie oder in einen Baumarkt.

Woran liegt das?

F. Winkler: Oft an falschen Vorstellungen. Vom Maler erwarten viele einen kreativen Beruf, im Sinne einer künstlerischen Tätigkeit. So wie es früher einmal war. Doch dies wird häufig nicht erfüllt. Der Großteil der Wände ist weiß, und Maler führen oft aus, was andere geplant haben. Die Kreativität liegt hier vielmehr in der Technik, etwa in neuen Materialien und Farbsystemen, Hightech-Spritz- und Absauganlagen. Viele denken immer noch, dass wir vor allem mit Pinsel und Walze arbeiten.

Um von vornherein falsche Vorstellungen zu vermeiden, müsste dies im Berufsbild besser rüber kommen. Deshalb hatte ich bereits bei der Neuordnung des Berufsbilds vor Jahren angeregt, auch die Berufsbezeichnung zu überarbeiten, etwa in Richtung eines technischen Oberflächengestalters. Doch das fand am Ende keine Zustimmung.

Die Ideen für den Beruf gehen Ihnen aber sicherlich nicht aus.

F. Winkler: Natürlich nicht. Wir sind zum Beispiel auf Instagram, Facebook und YouTube präsent. Und gerade bereiten wir eine große Werbeaktion für das Handwerk vor, mit der wir in die allgemeinbildenden Schulen gehen. Die Idee: Im Laufe des kommenden Sommers sollen deren Schüler eine Woche lang in 75 unterschiedliche Berufe reinschnuppern können. Dazu stellen wir insgesamt 1.500 Plätze bereit – natürlich auch für den Malerberuf.

Und was mich besonders freut: Mittlerweile ergreifen auch junge Frauen den Malerberuf. In unseren Klassen sind von 25 Schülern im Schnitt etwa drei weiblich. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders. Und es zeigt, dass der Beruf vielleicht körperlich etwas anstrengend ist, aber eben doch nicht übermäßig.

Über Felix Winkler

Felix Winkler ist gelernter Schreiner und studierter Architekt. Der 52-Jährige leitet seit 2013 die Stuttgarter Schule für Farbe und Gestaltung und ist seit 2018 zusätzlich geschäftsführender Schulleiter der 16 gewerblichen Schulen in Stuttgart. Zuvor hatte er jeweils fünf Jahre lang als Referent im baden-württembergischen Kultusministerium sowie im Regierungspräsidium Stuttgart gearbeitet.

Foto: manuta/Adobe Stock
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