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10. August 2022
Delia Constanze Roscher
Portrait

Man kann auch anders Maler sein

Für Matthias Deckers ist eine Wand mehr als nur eine Fläche. Sie ist seine Leinwand, das Zentrum seines Schaffens. Mit Pinsel und Farben hat der gelernte Malermeister heute eher wenig zu tun, stattdessen nutzt er Spraydosen. Wir haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen.
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Foto: privat
Man kann auch anders Maler sein: Matthias Deckers erzählt seinen Weg vom Maler- und Lackierermeister zum Graffiti-Künstler.

Matthias Deckers sitzt in seinem Wohnzimmer am Schreibtisch, im Hintergrund zwitschern die Vögel. „Ich bin leidenschaftlicher Künstler“, sagt Matthias – oder Mattez, wie er sich nennt. Und als Künstler spricht er am liebsten über Kunst. Wie seine Kunst mit dem Malerhandwerk zusammenhängt? Man kann auch anders Maler sein. Statt mit Pinsel und Farb­rolle ist er mit Spraydosen unterwegs. Als Graffitikünstler hat sich Matthias in seiner Heimat Geldern in Nordrhein-Westfalen mittlerweile einen Namen gemacht.

Das Werkzeug Sprühdose

Das Merkmal seiner Arbeit sind vor allem die bunten Farben. „Bei Spraydosen hat man Zugriff auf eine Farbpalette von etwa 200 Farbtönen. Damit muss man klarkommen.“ Mischen kann man diese nämlich nicht. Unbedingt farbig muss es jedoch nicht sein, man kann auch in Graustufen oder Sepiatönen sprayen. Die Handhabung einer Spraydose unterscheidet sich stark von der eines Pinsels: Je nach Winkel oder Abstand zur Wand verändert sich die Optik des Bildes. Oder auch wie stark man auf die Düse drückt. So bekommt man die fotorealistischen Werke an die Wand. „Gute Fingerfertigkeiten sind Voraussetzung für Graffiti“, erklärt Matthias. Was man an die Wand sprüht, bleibt dem Künstler überlassen. Die einzige Grenze ist höchstens die Fläche der Wand, meint Matthias.

Matthias
Foto: privat
Matthias‘ Künstlername lautet MATTEZ.

Wir blicken zurück in seine Jugend: Als junger Heranwachsender konnte er es kaum erwarten, endlich die Ausbildung zu beginnen. In der Berufsschule kam dann die Ernüchterung. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen waren mit wenig Herzblut bei der Sache. „Da kamen dann so Sprüche wie ‚Beim Maurer war nichts mehr frei‘ oder ‚Wenn man nicht weiß, was man machen soll, wird man Maler‘.“ Matthias ist sich sicher, wenn angehende Maler- und Lackierer*innen mehr auf kreative Weise arbeiten könnten, wäre das nicht so. Regelmäßig gibt er Workshops in Bildungseinrichtungen oder auch Jugendhäusern, wo er den Jugendlichen das Arbeiten mit Farben näherbringen möchte. „Es ist eben nicht nur Eimer auf und streichen.“ Auch wenn Matthias heute nicht mehr als Maler- und Lackierer arbeitet, hat ihn die Leidenschaft für diesen Beruf nie verlassen.

Vom Malermeister zum Künstler

Nach der Meisterprüfung 2005 arbeitete Matthias erst im Malerbetrieb seiner Eltern mit. Anschließend übernahm er in dritter Generation den Betrieb, den sein Großvater 1933 gründete. mgd Home bot seinen Kunden professionelle Maler-, Glaser und Bodenbelagsarbeiten. Dabei stand vor allem die Planung, Gestaltung und fachkundige Umsetzung im Fokus. Matthias wollte damals den Betrieb „umkrempeln“, modernisieren, innere Abläufe und auch die Angebote ändern. So kam die Spezialisierung auf kreative Raumgestaltung. Das lief eine Weile ganz gut. „Ich denke, ich habe damals zwischen 60 und 80 Stunden pro Woche gearbeitet“, erzählt Matthias. Dann kam das Burn-out. Matthias zog die Notbremse und gab den Betrieb auf. Heute sieht er das als Wendepunkt: „So konnte ich den Weg einschlagen, den ich heute gehe.“ Die Genesung und Neufindung nahmen eine ganze Zeit in Anspruch. Zwei Jahre später startete Matthias seine neue Karriere als Graffiti- und Streetart-Künstler. Dabei kommen ihm seine Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Malerhandwerk über Untergründe und Malmaterialien sowie das Gestalten mit Farben zugute. Matthias liebt es „an der Wand zu sein“, also das wirkliche, echte Arbeiten mit dem Material. Damals, als Betriebsinhaber, verbrachte er die meiste Zeit im Büro. Als Künstler kommt er sozusagen „back to the roots“.

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Foto: privat
Das Donut-Haus ist ein absoluter Hingucker.

Graffitis haben Matthias schon in seiner Jugend fasziniert. Mit 14 bemalte er seine ersten Wände. „Was mit guter, schöner Kunst wenig zu tun hatte“, sagt er und lacht. Damals gab‘s die erste Hip-Hop-Welle in Deutschland und Matthias war mittendrin. Dass er durch seine Erkrankung zurück zum Graffiti kam, kam unverhofft: Er traf einen alten Freund, der sich als Graffiti-Künstler selbstständig gemacht hatte. „Das habe ich ihm erstmal nicht geglaubt.“ Losgelassen hat ihn der Gedanke jedoch nicht. Er nutzte die freie Zeit, um sich das nötige Können anzueignen. Der Schritt in die Selbstständigkeit kam danach. Heute lebt er von Aufträgen und den Verkäufen seiner eigenen Werke. Auch Städte und Gemeinden kamen auf ihn zu, um Stromkästen oder Tiefgarageneinfahrten verschönern zu lassen. Privatkundinnen und -kunden wollten von ihm beispielsweise Disney-Figuren im Kinderzimmer. Matthias sprayt seine Kunst aber auch einfach so auf Wände. Natürlich mit Erlaubnis. So kam das Donut-Haus in Issum zustande. Die Fassade ziert ein poppiger Zuckerguss mit bunten Streuseln. Definitiv ein Hingucker im Ort.

Die Botschaft weitertragen

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Matthias bei der Arbeit: So ein großes Kunstwerk kann durchaus mehrere Stunden dauern.

In Matthias‘ Atelier, dem „Habitat 49“, arbeitet er viel an seiner Kunst. Gemeinsam mit sechs weiteren Künstlern und Künstlerinnen wird das Habitat als Rückzugsort, Werkstatt, Büro, Tonstudio und künstlerische Austauschstätte genutzt. Viele seiner Auftragswerke entstehen hier, am Tablet vorgezeichnet und anschließend im Großformat an die Wand gebracht. Matthias wird nicht müde, Graffiti weiterhin bekannt zu machen. Er organisiert „Paint On Walls“, ein jährliches StreetArt- und Graffiti-Festival, bei dem sich mehr als 20 europäische Graffiti-Künstler treffen und ein ganzes Wochenende das Festivalgelände zu einer riesigen Open-Air-Galerie gestalten. Das diesjährige Festival fand Anfang August 2022 in Geldern statt. Hier konnten auch die Kleinen mal eine Sprühdose in die Hand nehmen und sich ausprobieren. Die Message des Festivals ist zugleich auch Matthias persönliche Message: Graffitis sind keine „Schmierereien“, sie sind Wandgemälde mit Wirkung und Haltung – und vor allem sind sie Kunst.

Die Kunst an den Wänden
Mangelverwaltung
Die einen suchen schon seit Jahren nach einem guten Lehrling, viele andere Betriebe lamentieren über die Qualität der Bewerber, der Rest bildet überhaupt nicht mehr aus. Was läuft da schief? Zum Glück gibt es viele positive Beispiele. Betriebe berichten von motivierten und lernwilligen Auszubildenden. Was läuft da anders?  Fakt ist, dass die Lehrlingszahlen überhaupt und im Malerhandwerk stetig zurückgehen IMMer noch wird im Malerhandwerk über den eigentlichen Bedarf ausgebildet. Doch den Druck spüren die Betriebe, die an die Zukunft denken und ausbilden wollen oder gar müssen, jetzt schon. Weil sie kaum mehr geeignete Lehrlinge finden, die sie zum Fachpersonal oder gar zum Nachfolger aufbauen können. Die Gründe dafür sind vielfältig, liegen weniger – aber eben auch – an den gesetzlichen Rahmenbedingungen, viel häufiger jedoch im (zwischen)menschlichen Bereich. Die Betriebe selbst und auch die Berufsorganisation müssen heute handeln, um morgen handlungsfähig zu bleiben. Einer, der handelt Marc-Alexander Kecker, der drei Gesellen und einen Lehrling in seinem Betrieb in Essen beschäftigt, ist einer von denen, die handeln. Für ihn hat das Thema Aus- und Weiterbildung einen hohen Stellenwert. Warum kümmert er sich so intensiv um den beruflichen Nachwuchs? Marc-Alexander Kecker berichtet: »Grundsätzlich ist es für mich eine soziale Aufgabe, jungen Menschen eine berufliche Perspektive zu bieten. Dazu gehört auch die Verantwortung, die man für sein eigenes Handwerk trägt. Leider geht diese alte handwerkliche Selbstverständlichkeit verloren und Betriebe sind nur an kurzfristigen Ergebnissen interessiert. Denn nur wenn ausreichend ausgebildete Fachkräfte vorhanden sind, können die Personalkosten in einem erträglichen Maß gehalten werden. Somit versuche ich, auch zukünftigen Personalbedarf abzudecken. Es ist aber auch ein schönes Gefühl, einem jungen Menschen etwas mit auf seinen beruflichen Weg geben zu können.« Wie sieht seine Förderung junger Leute aus und welche Perspektiven bietet er ihnen? Marc-Alexander Kecker führt aus: »Grundsätzlich erwarte ich von meinen Auszubildenden eine hohe Motivation. Dafür biete ich Ihnen einen hohen Grad Selbstständigkeit – natürlich unter der Voraussetzung der individuellen Leistungsfähigkeit des Auszubildenden. Wenn es die Zeit zulässt, zeige ich meinen Auszubildenden auch außerhalb der normalen Arbeitszeit besondere Techniken und Leistungen. Auch im normalen Arbeitsbetrieb werden meine Auszubildenden selbst bei hochwertigeren Leistungen und Gestaltungen mit eingebunden. Darüber hinaus schicke ich sie zu kleineren Weiterbildungen, um auch mal aus dem Arbeitsalltag heraus zu kommen. Dies empfinden die Auszubildenden häufig als Wertschätzung ihrer Person. Bei den Perspektiven ist es für einen Betrieb meiner Größe natürlich schwierig. Ich versuche jedoch, besonders gute Mitarbeiter durch die Erfüllung individueller Wünsche zu entwickeln. Dies kann durch spezielle Weiterbildungen und Einsatz in spezifischen Einsatzbereichen erfolgen.« Demografie und wenig sexy IMMer weniger junge Leute und IMMer weniger junge Leute, die sich bewusst für eine handwerkliche Ausbildung entscheiden – gute Facharbeiterinnen und Facharbeiter mit dem klassischen Gesellenbrief sind Mangelware und dementsprechend heißbegehrt. Dabei bietet das in Deutschland bekannte und über die Grenzen hinaus anerkannte duale Ausbildungssystem Betrieben und Auszubildenden eine solide Basis für eine undierte Ausbildung. Dass ein Handwerksberuf in den Augen vieler junger Leute nicht sexy genug ist, liegt auch daran, dass ihnen die Vielseitigkeit des Berufsfeldes gar nicht bewusst bzw. bekannt ist, von Karrierechancen einmal ganz abgesehen. Wie können sie auch, wenn die meisten Betriebe sich kaum die Mühe geben, dies den jungen Leuten zu erklären oder gar zu vermitteln? Foto: Imago   Nachwuchsförderung Vor diesem Hintergrund haben die Malerwerkstätten Heinrich Schmid vor einigen Jahren die Ausbildung und Nachwuchsförderung zum eigenen Projekt gemacht. Malermeister Nils Sandscheiper, Abteilungsleiter bei Heinrich Schmid in Essen, beschreibt den Ansatz: »Um herauszufinden, warum das Maler- und Lackiererhandwerk so Schwierigkeiten hat, geeignete Bewerberinnen und Bewerber für die Ausbildung zu gewinnen, haben wir versucht die Situation aus den Augen zukünftiger Auszubildenden zu sehen – vielleicht klagen ja auch geeignete Bewerber seit Jahren über ein schlechtes Ausbildungsangebot?« Bei Heinrich Schmid wird daher die Ausbildung ganzheitlich betrachtet und beginnt bereits mit der Azubi- Akquise. Nils Sandscheiper erlebt den Heinrich-Schmid-Weg positiv: »Die Strukturen und der damit verbundene Rahmen für unsere Azubis sorgen nicht nur für einen besseren Ausbildungsablauf. Das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren ist Garant für eine Vielzahl von motivierten und lernwilligen Azubis, die wiederum durch ihren Einsatz während ihrer Tätigkeit auf den Baustellen ihren wirtschaftlichen Beitrag leisten.« Die Dynamik, die in den letzten Jahren entstanden sei, findet zudem in einem eigenen Ausbildungsvergütungssystem ihre Berechtigung. In Zusammenarbeit mit den Baustellenausbildern und dem Azubibeauftragten Michael Kozak werden regelmäßig die Leistungen der Azubis bewertet, Noten von Schulen und ÜBL dokumentiert. Das Ergebnis sorgt unter Umständen für ein Plus auf dem Konto, denn von guten Ergebnissen, motivierten und leistungsstarken Azubis profitieren am Ende beide Seiten – der Azubi und der Betrieb. Doch Nils Sandscheiper bleibt bei aller Begeisterung Realist: »Natürlich gibt es bei uns auch IMMer wieder Tage, an denen man vom Gegenteil überzeugt wird. Dann erleben wir Situationen, die uns sprachlos werden lassen. Vom respektlosen Verhalten über unpünktliches Erscheinen bis hin zu den vielen, manchmal unüberwindbaren privaten Problemen eines jeden Einzelnen. Die Zeit bis heute hat uns jedoch gezeigt, dass es eigentlich für jeden Betrieb die Chance gibt, auf einer soliden Basis auszubilden. Sie setzt nur eines voraus: Man muss sich drum kümmern!«
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Foto: manuta/Adobe Stock
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