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Foto: Maler- und Lackierinnung München

Der Bundespräsident und seine Frau im Gespräch mit Azubis aus ganz Deutschland. Foto: Maler- und Lackierinnung München

Es hätte sicherlich eine gesellige Runde gegeben, doch auch hier machte Corona einen Strich durch die Rechnung: Die vier Auszubildenden Luise Kinon, Marco Schmider, Olena Severyn und Vanessa Imhof, sprachen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender pandemiebedingt in einer Videokonferenz ganz offen über ihre persönliche Situation in der Krise. Der Runde waren zudem der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer und der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Eric Schweitzer, zugeschaltet.
Im rund einstündigen Gespräch wurden viele Fragen seitens des Bundespräsidenten und seiner Frau beantwortet. Aber es wurden auch deutliche Worte gefunden. Denn manche Branchen leiden deutlich stärker unter der Pandemie als andere. Luise Kanon beispielsweise macht eine Ausbildung zur veranstaltungstechnikerin im ersten Lehrjahr. Die Auszubildende aus Hessen bilde sich aktuell über Online-seminare weiter und bekäme von ihrem Lehrer viel Unterrichtsmaterial zum Lernen. Sie bemängelte die Arbeitsverhältnisse ihrer Ausbilder, die wegen Kurzarbeit den Schülern in den Berufsschulen nicht zur Verfügung ständen. „Die veranstaltungsbranche ist immer noch in der 1. Welle“, beschreibt Kinon die Situation.
Marco Schmider hingegen, Maler- und Lackierer im dritten Lehrjahr, spürt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie nicht direkt. Da viele Menschen mehr Zeit zuhause verbrächten, hätten sie in seinem Ausbildungsbetrieb mehr als genug Aufträge. Schwierig sei es für den jungen Bayer eher in der Berufsschule, denn die Prüfungen seien zeitlich sehr knapp aufeinander abgestimmt. Die technische Ausstattung sei aber ausreichend, auch Rückfragen an die Lehrer hätten funktioniert, antwortete er auf die Nachfrage des Bundespräsidenten. Sichtlich froh war Schmider über die Übernahme durch seinen Ausbildungsbetrieb.
Ganz anders bei Vanessa Imhof, Friseurin im dritten Lehrjahr. Die Mama von Zwillingen aus Sachsen erzählte, sie hatte regelmäßig Probleme mit der Lernplattform der Berufsschule. Zwischen Homeschooling und geschlossenem Kindergarten war es zudem „sehr schwierig, bis teilweise unmöglich“ zu lernen. Sie sei deswegen auch sehr froh, dass am 1. März die Friseurbetriebe wieder öffnen dürften. Sorgen mache sie sich auch im Hinblick auf die bevorstehenden Prüfungen. Bei der Frage, ob Imhof befürchte, ihr Jahrgang sei schlechter vorbereitet als die vorherigen, wurde der Bundespräsident konkret: „Fühlen Sie sich benachteiligt?“. Ja definitiv, sagte sie, sie wisse, dass ihr sehr viel Praxis durch die geschlossenen Friseurläden fehle. Nur in der Theorie den kosmetischen Teil wie auch Nageldesign zu lernen, reiche eben nicht. Daher werde sie sich bis zur Meisterprüfung mehr Zeit lassen, um die fehlende Praxis nachzuholen.
Überbetriebliche Bildungsstätten mussten nachrüsten
Dass Berufsschulen geschlossen sind, bringe viele Probleme mit sich, um „die Ausbildung vollinhaltlich durchzubringen“, erklärt Hans Peter Wollseifer. Allein im ersten Lockdown 2020 konnten 6.000 ÜLU-Lehrgänge, also die überbetrieblichen Lehrlingsunterweisungen, nicht durchgeführt werden. Nachgeholt werden sollen diese nun und Wollseifer hofft hier auf eine schnelle Öffnung der Bildungsstätten. Die meisten Abschlussprüfungen konnten dank der schnellen digitalen Umstellung aber durchgeführt werden, resümiert der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.
Bei der Digitalisierung der Berufsschulen gebe es aber je nach Bundesland große Unterschiede, ergänzt Eric Schweitzer. Junge Menschen planen ihre berufliche Zukunft um die Pandemie herum. Schweitzer erklärte, dass 2020 ca. 12 Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden. Er vermute, dass viele ihre Schulzeit verlängerten, zur Uni gingen oder aber auch erst mal abwarteten.
In einer weiteren geschwächten Branche lernt Olena Severyn. Sie ist angehende Hotelkauffrau im dritten Ausbildungsjahr. Praktische Kenntnisse bekommt auch sie aktuell fast keine, da die Gäste im Hotel schlichtweg fehlten. Diesen Mai habe sie Abschlussprüfung, vorbereitet dazu fühle sie sich aber nicht genug, da der Lehrgang mit den Prüfungsvorbereitungen abgesagt wurde. Unsicherheiten erzeugt auch die Zukunft ihres Lehrbetriebs. Sie könne nicht mit Gewissheit sagen, ob das Hotel sie übernehmen wird. Da ihr zudem bestimmte praktische Teile fehlten, müsse ein etwaiger neuer Arbeitgeber mit einer längeren Einarbeitungszeit rechnen. Was ihr zu Nachteilen in der Bewerbung führen könne. Zweifel an ihrem beruflichen Weg aber habe sie keine, „eine berufliche Ausbildung ist eine gute Möglichkeit, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln“, sagt die junge Frau aus Mecklenburg-Vorpommern.
Einen wichtigen Appell haben Wollseifer und Schweitzer: Handwerks- und Industrieberufe müssen endlich ein besseres Image bekommen. Hans Peter Wollseifer sieht die berufliche und akademische Bildung ganz klar als gleichwertig an. Nach einer dualen Berufsausbildung verdienen junge Menschen mehr, als nach einem Studium, ergänzt Eric Schweitzer. Er sieht aber Verbesserungsbedarf in der Berufsorientierung, da beispielsweise 1/3 aller Studenten ihr Studium abbrächen. Dies könne ein Indiz für die fehlende Wertigkeit von dualen Berufsausbildungen sein.
Mit einem gut gemeinten Rat beendet der Bundespräsident das Gespräch: Junge Menschen, die sich noch nicht für einen beruflichen Weg entschieden haben, sollten sich auch handwerkliche Ausbildungsberufe ansehen.

Seit Anfang 2021 arbeitet die Autorin in der Online-Redaktion im Fachbereich Baumedien der C. Maurer Fachmedien.

Delia RoscherOnline-RedakteurinBaumedien

 

Foto: manuta/Adobe Stock
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