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Dass man bei Innenwandfarben den CO2 Fußabdruck oder Zertifizierungen, welche man bisher nur von fair gehandelten Kaffeebohnen kannte, bei der Beratung im Kundengespräch heranzieht, hätte sich noch vor zehn Jahren wohl kaum ein Betrieb vorstellen können. Doch Beschichtungsstoffe oder Bauprodukte, die Ökolabels vorweisen können, werden inzwischen immer häufiger vom Kunden nachgefragt.
Ein wachsender Markt für nachhaltig hergestellte Produkte
Eine, laut nachhaltigkeit.info immerhin mit über 12 Millionen Menschen lohnenswerte Kundengruppe aus dem klassischen Mittelstand konsumiert nicht nach dem Motto „Geiz ist geil“. Diese Gruppe möchte die Gestaltung ihrer Innenwände mit hoher Qualität und mit größtmöglicher Nachhaltigkeit erreichen. Dafür wird auch ein höherer Preis akzeptiert. Angesprochen werden kann diese Kundengruppe mit dem Einsatz zertifizierter, nachhaltiger Produkte. Als zukünftige Generation der Malerbetriebe wurden 125 Absolventen des Meister- und Technikerschuljahrgangs zum Zukunftspotential „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ befragt. Über 70 % der Schüler schätzten das Marktpotential ökologischer Produkte als gut und zukünftig relevant ein. [tttgallery id=“1188″]
Möglichkeiten nachhaltiger Produktion
Nachhaltigkeit versteht sich als ein Handlungsprinzip, bei dem Ressourcen so genutzt werden, dass die Stabilität und Regenerationsfähigkeit des Systems gewährleistet werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Verwendung der richtigen Materialien, sondern auch um deren sparsamen Einsatz sowie die sozialen Bedingungen im Produktionsprozess. Für nachhaltige Innenwandfarben könnte das bedeuten, regenerative Rohstoffe bei der Herstellung zu verwenden, die Produktion emissionsfrei und energieschonend zu gestalten oder eine angemessene Entlohnung der beteiligten Arbeitskräfte bei Herstellung- und Vertriebsprozessen zu gewährleisten.Damit diese Ansprüche an nachhaltige Produkte umgesetzt werden können, gibt es zwei Möglichkeiten: Einerseits kann bei der Produktion eines Beschichtungsstoffs Wert darauf gelegt werden, dass Teile da-von aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden. Eine andere Möglichkeit ist es, im sogenannten Massenbilanzverfahren alle Bedingungen nachhaltiger Produktion zu erfüllen.
Nachhaltige Bindemittel bei Dispersionsfarben
Bei Dispersionsfarben wird beispielsweise versucht, die Bindemittel aus nachwachsenden Ressourcen, wie zum Beispiel Rapsölen, zu gewinnen. Diese Produkte haben den Vorteil, dass ein Teil, wie hier das Bindemittel, direkt aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird. Der entscheidende Nachteil liegt im hohen Kostenaufwand für die Entwicklung eines völlig neuen Produkts. Natürliche Produkte, die nicht vollständig chemisch synthetisiert sind, weisen eine grundsätzlich schlechter abschätzbare Zusammensetzung auf. Ein sehr altes Beispiel dafür ist Leinöl als Bindemittelgrundstoff für Alkydharzlack. Gewonnen aus dem Rohstoff Flachssamen, enthält es von Natur aus eine Vielzahl an unterschiedlichen Fettsäuren, die zum Beispiel die Vergilbung, Verseifung, Wassermischbarkeit und Trocknung maßgeblich beeinflussen. Behandelt man es gezielt nach, indem man bestimmte Bestandteile entfernt oder gar andere in das Polymergerüst einsynthetisiert, entstehen Alkydharzlacke die z. B. verseifungsstabil sind oder innerhalb von wenige Stunden trocknen.
Nachhaltige Dispersionsfarben im Massenbilanzverfahren
Die Farbe, die alle Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllt, ist in der Produktion nicht möglich. Deshalb hat man mit der Idee des Massenbilanzverfahrens eine Möglichkeit geschaffen, alle im Prozess anfallenden „Massen“ bzw. Stoffe zusammenzuwerfen und so die weniger nachhaltigen mit potentiell nachhaltigeren Faktoren der Produktion auszugleichen. Vergleichbar ist das Prinzip mit dem des Ökostroms. Dieser wird nicht ausschließlich aus Solarzellen gewonnen, sondern teils auch aus Kohle und Atomkraftwerken. Trotzdem fördert der höhere Preis des Ökostroms indirekt die Gewinnung von Energie aus nachhaltigen Ressourcen. Für die Produktion von Oberflächenbeschichtungsstoffen bedeutet das, dass innerhalb der Herstellung des Bindemittels für eine insgesamt nachhaltige Dispersionsfarbe neben den klassischen synthetischen Produktionsschritten auch ein Teil aus nachhaltigen Produkten sein muss, um dieser Zertifizierung zu genügen. Ob dies nun das Bindemittel oder ein anderer Herstellungsschritt ist, bleibt dem Unternehmen dabei selbst überlassen.
DIN EN 13300 – Klassifizierung von Beschichtungsstoffen
[tttgallery id=“1189″] Für einige nachhaltige Produkte, beispielsweise im WDVS-Bereich, sind DGNB-Zertifizierungen üblich. Die Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) „will Nachhaltigkeit zur Lebensphilosophie und zum Lifestyle erheben“. Projekte und Produkte die die Ziele der „Nachhaltigkeit“ konsequent verfolgen, sollen deshalb gefördert werden. Spannend bleibt, inwieweit sich dieses Zertifizierungssystem auch in der Malerbranche durchsetzen wird.Nachdem das Produkt auf Nachhaltigkeit geprüft und damit dem Kunden empfohlen wurde, können die technischen Anforderungen, die der Kunde an das Produkt stellt, mit Hilfe der DIN EN 13300 geklärt werden. Weitere Informationen zur DIN-Norm 13300 weiter unten. Ziel der DIN-Norm 13300 ist es, dem Verarbeiter eine Klassifikation für wasserhaltige Beschichtungsstoffe an die Hand zu geben. So kann anhand des gewünschten Leistungsvermögens, z. B. eine bestimmte Schutz- oder Gestaltungsfunktion zu übernehmen, ein passendes Beschichtungsmittel ausgewählt und dem Endkunden empfohlen werden. Hierzu hat man vier Qualitätskriterien gewählt. Qualitätskriterium Korngröße: Die Größe der Teilchen beeinflusst maßgeblich Deckvermögen und Erscheinungsbild. Dispersionsfarben nach DIN EN 13300 müssen die Größenverteilung S1 aufweisen. Ermittelt wird dies mit dem Grindometer nach Hegmann. Hier ermittelt man über den Farbaufzug die Stelle an der eine signifikante „Kratzspur“ durch das enthaltende Größtkorn hervorgerufen wird. Qualitätskriterium Glanzgrad: Der Glanzgrad einer Beschichtung kann über die Zugabe von Mattierungsmitteln über Auswahl und Korngrößenverteilung der Pigmente und Füllstoffe oder aber über die Höhe der Pigment-Volumen-Konzentration, kurz PVK, beeinflusst werden. Je höher die PVK ist, desto mehr Füllstoffe und Pigmente sind im Beschichtungsstoff enthalten und desto matter erscheint die Oberfläche. Bei Innendispersionen wird sehr häufig eine überkritische Formulierung der PVK gewählt, da dies zugleich die Wasserdampfdiffusionsfähigkeit erhöht. Qualitätskriterium Deckvermögen: Es beschreibt die Fähigkeit eines Beschichtungsstoffs, den Untergrund abzudecken. Ermittelt wird dies über den Spektralfotometer, dieser misst die Helligkeitswerte über den schwarzen bzw. weißen Kästchen einer Deckkraftkarte. Dabei wird zwischen vier Klassen der Deckkraft unterschieden. Qualitätskriterium Nassabrieb: Die Nassabriebsbeständigkeit umschreibt die Reinigungsfähigkeit des Beschichtungsstoffs und wird in fünf Klassen unterteilt. Der Begriff „Scheuerbeständig“ umschreibt die Klassen 1 oder 2, „Waschbeständig“ entspricht ungefähr der Klasse 3. Sie gibt an, wieviel Verlust an Schichtdicke das Beschichtungsmittel innerhalb eines definierten Scheuervorgangs verliert. Je geringer der Schichtdickenverlust ist, desto höher ist die Nassabriebsbeständigkeit. [tttgallery id=“1192″]
Nachhaltige Beschichtungsstoffe im Qualitätsvergleich
Anwendungstechniker der Fachklasse „staatlich geprüfter Farb- und Lacktechniker“ in München untersuchten zwei Versuchsansätze unterschiedlicher Hersteller. Ziel der Untersuchung war es, erste Anhaltspunkte dafür zu bekommen, ob die noch in der Entwicklung befindlichen Innendispersionsfarben mit nachhaltigen Bindemitteln auf rein natürlicher Basis bereits ähnlich gute Verarbeitungseigenschaften aufweisen, wie jene Produkte, die durch Massenbilanzverfahren als nachhaltig zertifiziert werden. Die Verarbeitbarkeit neuer nachhaltiger Beschichtungsstoffe wurde von den Technikerschülern im anwendungstechnischen Versuch an Stellwänden und Deckkraftkarten getestet. Dazu rollt und streicht der Anwendungstechniker die Farben auf Gipskartonstellwände auf und beurteilt jeden Beschichtungsstoff nach branchentypischen Kriterien. Qualitätskriterien beim Anwendungstest hinsichtlich der Verarbeitbarkeit waren die Spritzneigung, das Abrutschverhalten, der Verlauf sowie die optische Abdeckung eines schwarzen Streifens. [tttgallery id=“1190″]
Entwicklungspotenzial bei ökologischen Dispersionsfarben
Die Vorteile bei der Verwendung umweltschonender bzw. nachhaltiger Dispersionsfarben für den Innenraum sind vielfältig. Nicht zuletzt wurde das Bestreben der Hersteller, auf Konservierungsstoffe weitesgehend zu verzichten, auch durch die gesellschaftliche Forderung angestoßen. Der blaue Engel beispielsweise fordert völlige „Filmkonservierungsmittelfreiheit“ und schränkt den Einsatz von Topfkonservierungsmitteln erheblich ein. Allerdings sind die Farben in einigen Bereichen noch den mittels Massenbilanzverfahren ökologisch hergestellten und vor allem herkömmlichen Dispersionsfarben unterlegen. Unser Test ergab, dass die Produkte, welche nach dem Massenbilanzverfahren nachhaltig hergestellt wurden, sehr gute Ergebnisse in technischen Kenngrößen wie Nassabrieb und Deckvermögen erzielten. Auch beim Geruchstest schnitten diese Farben hedonisch betrachtet gut ab. Bei den getesteten Produkten mit nachhaltigen Bindemitteln auf natürlicher Basis zeigte sich, dass die Potentiale noch nicht ausgeschöpft sind: Das Viskositätsverhalten während der Applikation sowie die Formulierung der Lagerstabilisierung weisen nach Ansicht der jungen Anwendungstechniker noch Entwicklungspotential auf. Auch die Reinigungsfähigkeit der auf Basis natürlicher Bindemittel getesteten Farben konnte in keinem Beispiel die Nassabriebsklasse 1 bestätigen. Die jungen Anwendungstechniker der Münchner Fachschule sind sich dennoch einig, dass die Produktforschungen der Hersteller zu ökologi-schen Produktlinien bereits sehr vielversprechend sind. Lassen wir uns auf der Farbe in Köln 2019 überraschen, welche auf natürlicher Basis hergestellten Produkte dem Markt präsentiert werden. Ich bin jedenfalls gespannt, ob Kartoffelstärke, Leindotter oder Soja am Ende die Nase vorne haben werden, und überzeugt, dass bis dahin die Entwicklung bereits deutlich vorangeschritten ist. Miriam Maier Fachschule für Farb- und Lacktechnik München

Foto: manuta/Adobe Stock
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