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22. Oktober 2019
Redaktion
Interview

Asbest hinter der Tapete

Interview mit Dipl.-Geogr. Norbert Kluger, Abteilungsleiter der Hauptabteilung Prävention von der BG BAU - Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft in Frankfurt am Main
Verlassenes
Foto: dannyburn/Adobe Stock
Versteckter Asbest birgt Gefahren.

Maler müssen sich der Problematik der Gebäudeschadstoffe beim Bauen im Bestand bewusst sein.

Mappe: Herr Kluger, wie beurteilen Sie den derzeitigen Stand der Verhandlungen zur GefStVo in Bezug auf den Arbeitsschutz bei verstecktem Asbest in Spachtelmassen, Putzen, Farben, Wand- und Bodenbelägen?

Norbert Kluger: Am 26. September 2019 fand in Berlin das 4. Dialogforum zum Nationalen Asbestdialog in Berlin statt. Dort wurde der Arbeitsstand zu Einzelergebnissen vorgestellt. Ein Meilenstein in diesem komplexen Thema und mit der wichtigsten Botschaft für die Akteure war sicherlich, dass es zwischenzeitlich gelungen ist die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 519 „Asbest: Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten“ zumindest um den Aspekt der Tätigkeiten an Putzen, Spachtelmassen und Fliesenkleber zu ergänzen. Eine vorläufige Fassung ist bereits auf den WEB-Seiten der BAuA bekanntgemacht. Die TRGS 519 ist zur Veröffentlichung beim GMBl eingereicht und gilt bis zur Veröffentlichung im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl) noch als vorläufig. Erst mit der Veröffentlichung im GMBI wird die TRGS rechtsverbindlich. Die TRGS 519 enthält nun mit der Anlage 9 „Hilfestellung zur Gefährdungsbeurteilung und zur Festlegung der Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten an asbesthaltigen Putzen, Spachtelmassen Fliesenklebern oder anderen ehemals verwendeten bauchemischen Produkten mit vergleichbaren Asbestgehalten (Exposition-Risiko-Matrix)“ einen ersten wichtigen Baustein. Die Exposition-Risiko-Matrix deckt aber bislang nur einen kleinen Teil der Tätigkeiten beim Bauen im Bestand ab. Doch zumindest sind die jetzt aufgeführten wenigen Tätigkeiten damit rechtlich zulässig. Jedoch müssen dabei sogenannten Emissionsarme Verfahren (BT-Verfahren nach DGUV Information 201-012) zum Einsatz kommen. Zudem wurden in der Neufassung der TRGS 519 erste Schritte für ein neues zukunfts-orientiertes Qualifikationsmodell für Tätigkeiten mit Asbest beschrieben. Diese sieht letztlich eine modulare Qualifikation aller Akteure vom Beschäftigten (Basiswissen) über den Aufsichtsführenden bis zur verantwortlichen Person im Unternehmen vor. Das erste Qualifikationsmodul E1 „Qualifikation für aufsichtführende Personen bei Anwendung anerkannter emissionsarmer Verfahren nach TRGS 519 Nummer 2.9“ in diesem Sinne wird in der Anlage 10 der TRGS 519 beschrieben. Weitere Festlegungen bzw. Hinweise für die Praxis sind auf rechtsformalen Gründen, d.h. auf der Basis der aktuellen Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) nicht möglich. So warten nun aller Akteure auf das nächste und damit 5. Dialogform zum Nationalen Asbestdialog, dass am 26. März 2020 stattfinden soll. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) plant zu diesem Termin dann die Leitplanken für einen ersten Entwurf einer Novelle der Gefahrstoffverordnung zu präsentieren. Es wird daher noch einige Zeit dauern bis eine rechtssichere Beschreibung der notwendigen Maßnahmen bei Tätigkeiten mit Asbest beim Bauen im Bestand vorliegt.

Mappe: Was sind die Hauptprobleme bei Arbeiten mit „verstecktem“ Asbest?

N. Kluger: Das Hauptproblem bei Arbeiten mit potenziell asbesthaltigen Materialien beim Bauen im Bestand in Gebäuden vor 1993 ist aus meiner Sicht nach wie vor, dass dieses Thema in der Branche noch nicht durchgängig bekannt ist. Viele Handwerker – aber natürlich auch die Auftraggeber, d.h. Bauherren – ist das Problem nicht bewusst. Dadurch können Arbeiten unter Bedingungen durchgeführt werden, die mit einem hohen Risiko für die Beschäftigen aber möglicherweise auch für Nutzer der Gebäude verbunden sind.

Mappe: Wie ist die rechtliche Situation bei verstecktem Asbest, wer ist in der Haftung, wenn durch Sanierungsarbeiten Asbest frei wird?

N. Kluger: Aus rechtsformalen Gründen sind viele Arbeiten an asbesthaltigen Materialien nach wie vor nicht zulässig. Nun ich bin kein Jurist und kann diese Frage sicherlich nicht rechtssicher beantworten. Aber eines dürfte klar sein: Werden bei Arbeiten Asbestfaser freigesetzt und dadurch Teile von Gebäude kontaminiert kann es teuer werden. Neben dem möglichen Schaden für die Gesundheit bleibt zu hoffen, dass das Unternehmen in einem solchen Fall ausreichenden Versicherungsschutz besitzt. In den Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) sind jedenfalls unter Nummer 7.11 „Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die auf Asbest, asbesthaltige Substanzen oder Erzeugnisse zurückzuführen sind“, explizit ausgeschlossen.

Mappe: Sollte das Überdeckungs- und Überbauungsverbot für Asbestzementdächer und -wandverkleidungen wie in § 16 Abs. 1, Satz 3 GefStoffV geregelt auch für Boden- und Wandbeläge (in Innenräumen) gelten?

N. Kluger: Für das generelle Überdeckungsverbot von Asbestzementdächern und Wandverkleidungen in der Gefahrstoffverordnung gibt es ist zunächst keine Ausnahme. Dieses Verbot soll sicherstellen, dass die für Mensch und Umwelt gefährlichen Asbestmaterialien dem Wirt-schafts¬kreislauf langfristig entzogen und ordnungs¬gemäß entsorgt werden. Auch soll mit dem Überdeckungsverbote verhindert werden, dass zu einem späteren Zeit-punkt aufgrund der Tatsache, dass die asbesthaltigen Bauteile überdeckt sind (und damit nicht sichtbar) durch andere Tätigkeiten Asbestfasern freigesetzt werden. Die Problematik der Überdeckung trifft nach heutigem Wissensstand aber faktisch auch für viele andere asbesthaltigen Bauteile – innen wie außen, Dach, Innen- oder Außenwand und Fußboden – gleichermaßen zu. Durch das Magdeburger Morinolfugen-Urteil (OVG 3 L 90/15) wurde zudem die Palette der unter das Überdeckungsverbot fallenden asbesthaltigen Bauteile weit ausgelegt. Zwischenzeitlich hat der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) mit den „Leitlinien zur Gefahrstoffverordnung“ (LV 45) eine weitere Klarstellung in diesem Zusammenhang veröffentlicht. In der LV 45 wurde als Leitsätze für das Überdeckungs-verbote gefolgert: Asbesthaltige Putze, Estriche und Spachtelmassen sind keine AZ-Produkte und keine asbestzementhaltige Wandverkleidung. Sie sind zudem so fest mit dem Gebäude verbunden, dass ihr Abbruch ohne größere bauliche Maßnahmen unmöglich ist. (Das Überdeckungsverbot gilt hier nicht.) Zulässige überdeckende Tätigkeiten wie Tapezieren, Malen und Streichen zählen in der Regel zu den Instandhaltungsarbeiten Anders sieht es die Leitlinie bei auf einen Untergrund aufgeklebte bzw. montierte asbest-haltige Erzeugnisse (u.a. Cushionvinylplatten, Floorflexplatten, Asphalttiles, Proma-best-platten, Fliesenimitate, aber auch AZ-Platten und -schindeln). Diese sind teilweise AZ-Produkte, teilweise mit schwach gebundenem Asbest, teilweise andere asbesthaltige Produkte. Da sie aber früher einmal einzeln angebracht wurden, können sie mit zumutbarem Aufwand wieder entfernt werden. Das Überdeckungsverbot soll bei allen an Wänden und Decken aufgeklebten bzw. montierten asbesthaltigen Erzeugnissen, angewendet werden.

Mappe: Sollen Arbeiten auch bei höherer Faserfreisetzung (Gelbbereich, 10.000 -100.000 Fasern) oder gar Rotbereich (größer 100.000 Fasern) grundsätzlich erlaubt sein?

N. Kluger: Die Einführung des Expositions-Risiko-Konzept stellt einen wichtigen Meilenstein in der Modernisierung der Regelungen bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen dar. Dies sollte bei den aktuellen Diskussionen zunächst nicht vergessen werden. Es schafft auch Erleichterungen (Tätigkeiten mit geringem Risiko = grüner Bereich), die so vorher nicht vorhanden waren. Die in der Anlage 9 der „neuen“ TRGS 519 enthaltene Expositions-Risiko-Matrix gibt erstmalig für die Praxis eine Hilfestellung für die Gefährdungsbeurteilung und die Festlegung von Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten an asbesthaltigen Putzen, Spachtel-massen, Fliesenklebern oder anderen ehemals verwendeten bauchemischen Produkten mit vergleichbaren Asbestgehalten (asbesthaltigen Materialien. Die Matrix ist so gestaltet, dass die für die jeweiligen Arbeitsverfahren beschriebenen Schutzmaßnahmen das in der TRGS 519 beschriebene Schutzniveau gewährleisten. Die Schutzmaßnahmen stellen die erforderlichen Mindestmaßnahmen dar und sind zwingend umzusetzen. Gegenwärtig erlaubt die Rechtslage es nicht, dass auch Aussagen zu den Tätigkeiten im Bereich des mittleren Risikos (gelber Bereich) oder des hohen Risikos (Roter Bereich) möglich. Mappe: Wie muss sich ein Maler aus Sicht der BG BAU verhalten, der einen Auftrag für Sanierungsarbeiten an bzw. in einem Altbau annimmt? N. Kluger: Zunächst bleibt zu hoffen, dass der Maler sich der Problematik der Gebäudeschadstoffe beim Bauen im Bestand bewusst ist. Auch wenn in der aktuellen Diskussion sicherlich Asbest im Vordergrund können in Altbauten weitere Gefahrstoffe wie „alte“ Mineralwolle-Dämmstoffe; PCB-haltige Fugenmassen und Holzschutzmittel ein Thema sein. Aus allem was wir derzeit wissen, muss in Gebäuden, die vor 1995 erbaut wurden mit Asbest in verschiedenen Baumaterialien gerechnet werden. Darauf muss der Auftraggeber/Bauherr bereits im Zuge der Angebotsphase deutlich hingewiesen werden. Der Auftraggeber / Bauherr hat hier eine Mitwirkungspflicht. Liegt keine schriftliche Bestätigung des Auftraggebers / Eigentümers vor, dass die „zu bearbeitenden Materialien asbestfrei“ sind, bleibt in der gegenwärtigen Situation nur die Möglichkeit (bei einem Verzicht einer weiteren Erkundung / Beprobung) von einer Worst-Case-Betrachtung auszugehen; d.h. es wird angenommen, dass Asbest in den Baustoffen vorhanden ist. Aus dieser Betrachtung leiten sich dann zwangsweise eine ganze Reihe von Anforderungen an den Malerbetrieb ab wie: Sind die Arbeiten überhaupt rechtlich zulässig? Verfügt der ausführende Malerbetrieb über die personellen (Sachkunde) und technischen Anforderungen zur Ausführung der Arbeiten? Können emissionsarme Verfahren (BT-Verfahren) eingesetzt werden? Wie werden die Materialien entsorgt?

Mappe: Welche Kenntnisse und Fortbildungen brauchen Maler, die mit Asbest zu tun haben?

N. Kluger: Nach geltendem Recht – und dies wird sicherlich auch in Zukunft so bleiben – müssen Unternehmen die Tätigkeiten an asbesthaltigen Materialien durchführen, bestimmte Qualifikation für diese Arbeiten nachweisen. Die Regelungen werden, wie aus der aktuellen der TRGS 519 ersichtlich (siehe Anlage 10), derzeit weiterentwickelt. Zukünftig soll es ein modulares System unterschiedlicher Qualifikationen geben. Das Qualifikationsmodul 1E wird als erster Bestandteil eines solchen künftigen modularen, risiko- und aufgabenbezogenen Qualifikationssystems eingeführt. Für Tätigkeiten, die nur zu einer geringen Exposition führen, kann nach Anhang I Nummer 2.1 Satz 3 GefStoffV u.a. von den Anforderungen an die Sachkunde nach Anhang I Nummer 2.4.2 abgewichen werden. Mit Qualifikationsmodul 1E (Q 1E) wird diese Ausnahmemöglichkeit der GefStoffV aufgegriffen. Für die aufsichtführende Person, die nicht über eine Sachkunde nach mindestens Anlage 4 der TRGS 519 verfügt, wird darin beschrieben, welche Kenntnisse und Fähigkeiten bei Anwendung von anerkannten emissionsarmen Verfahren nachzuweisen sind. Der Nachweis der Qualifikation einer aufsichtführenden Person nach Modul Q 1E gilt aber ausschließlich für Tätigkeiten mit anerkannten emissionsarmen Verfahren. Für Tätigkeiten, die in Anlage 9 einem niedrigen Risiko zugeordnet sind, aber nicht als emissionsarme Verfahren anerkannt sind, ist weiterhin mindestens der Nachweis der Sachkunde nach Anlage 4 dieser TRGS erforderlich. Die weiteren Module betreffen den Erwerb der Sachkunde. Ihre Einführung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt und wird eine geeignete Überleitung des derzeitigen Systems (Anlagen 3 bis 5 der TRGS 519) beinhalten.

Foto: manuta/Adobe Stock
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