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15. Juli 2019
Redaktion
Fassade

Historische Aufgabe

Historismus- und Jugendstilgebäude sind in der Farbgestaltung ein großes Betätigungsfeld. Filigran und aufwendig geschmückt fordern sie den Gestalter heraus. Autor Joachim Propfe erläutert im Beitrag, wie sie mit mehr als einem Farbton richtig in Szene gesetzt werden können.
Historische
Foto: Joachim Propfe
Plane Darstellungen berücksichtigen nicht die Dreidimensionalität einer Fassade. Hieraus können sich in der Umsetzung leicht Missverständnisse ergeben

Plane Darstellungen berücksichtigen nicht die Dreidimensionalität einer Fassade. Hieraus können sich in der Umsetzung leicht Missverständnisse ergeben Die farbige Gestaltung oder Neugestaltung einer Historismus- oder Jugendstilfassade sollte stets im Zusammenhang mit der Architektur betrachtet werden. Farbe und Architektur sind nicht voneinander zu trennen, da erst die Farbe für die Unterscheidung der Formen und damit der einzelnen Bauteile sorgt. Eine sorgfältige und sensible Farbplanung, die das Erscheinungsbild eines Gebäudes optimiert, sollte daher das Ziel sein.

Farbe und Architektur sind nicht voneinander zu trennen.

Joachim Propfe

1. Die Fassade lesen und verstehen

Die Fassaden der Epoche ab 1860 bis zum ersten Weltkrieg 1918 folgen häufig einem sehr ähnlichen Schema: Über einem Sockel, hinter dem sich der Keller befindet, erhebt sich das Erdgeschoss, das auch als sogenanntes Sockelgeschoss ausgebildet sein kann. Es unterscheidet sich durch eine andere Putzstruktur, der Putz kann zudem in waagerechte Streifen gegliedert sein oder imitiert gar ein Bossenmauerwerk oder kombiniert die genannten Elemente miteinander. Ein Sims bildet die Grenze zu den weiteren Stockwerken, die eine Einheit bilden können oder durch weitere Simse oder andere plastische Elemente voneinander getrennt sein können. Manchmal sind das erste und zweite Obergeschoss einheitlich zusammengefasst und das dritte Obergeschoss variiert in seinem Erscheinungsbild. Entwickelt hat sich diese Art der Fassadengestaltung aus der repräsentativen Architektur vergangener Epochen wie etwa der Renaissance, die von den Baumeistern auch miteinander vermischt wurden. Aus diesem Rückgriff auf die Vergangenheit entstand übrigens die Bezeichnung Historismus.
Beispiel für die Architektur des Historismus. Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig, begonnen 1883. Typische Neorenaissance-Gliederung der Fassade in ein Sockelgeschoss aus Bossenmauerwerk und einem Obergeschoss aus glatt behauenem Stein mit plastisch hervortretenden Fenstereinfassungen. Bemerkenswert ist die dezente Abstufung der Steinfarben von Hell (oben) nach Dunkel (unten).
Prägnanter Schmuck: Die Fassaden und Schmuckelemente dieser Gebäude bestanden, wenn sie besonders hochwertig ausgeführt waren, aus behauenen Natursteinen oder einer Mischung aus Natursteinen und Ziegelmauerwerk, das verputzt oder als Sichtmauerwerk ausgeführt wurde. Bei Fassaden von vier- oder fünfgeschossigen Mehrfamilienhäusern, die zwischen 1860 und 1918 errichtet wurden, imitierte man die gliedernden und schmückenden Elemente jedoch meist aus Putz und Stuck.
Links: Wohnhaus, dessen Fassade dem gleichen Schema wie das Museum folgt. Statt Bossen ist das Sockelgeschoss mit aufgeputzten Streifen gestaltet. Die Fenstergewände bestehen gleichfalls aus Putz. Die Farbtöne des Erdgeschosses und der Fenster sind im Vergleich zur übrigen Fassade zu kühl. Dennoch ist eine klare farbliche Trennung zwischen Putzflächen und Sichtmauerwerk sinnvoll. Rechts: Die Fenstereinfassungen sind inkonsequent gestaltet (rechtes Fenster). Die vorderen Flächen und die Phasen sind weiß, die zum Fenster hinlaufenden Flächen haben jedoch den Fassadenfarbton. Sie müssten, denkt man die Elemente der Fenstereinfassung dreidimensional, weiß gestrichen sein, auch wenn beim Quader über der Fensterbank die trennende Fuge fehlt. Beim linken Fenster ist zu sehen, wie die Farbgebung ausgesehen hätte, wenn man die Einfassungen von ihrer Dreidimensionalität her gestaltet hätte.
Analog zum ursprünglich dreidimensionalen Bauteil aus behauenem Stein sind diese also immer als Volumen und nicht als Fläche zu verstehen. Was bedeutet, dass alle Seiten eines Bauteils immer die gleiche Farbe haben sollten. Bei der Planung und Ausführung einer farbig gefassten Fassade muss man deshalb auch solche Flächen einbeziehen, die bei der frontalen Darstellung wie einem Fassadenaufriss unberücksichtigt bleiben. Hier ist sicher eine Ursache für Ungereimtheiten bei Farbfassungen zu sehen, die aber mit wenig Aufwand zu vermeiden sind.

2. Farbe sortiert – gleiches Element, gleiche Farbe

Fassaden des Historismus und Jugendstil folgen einer gewissen Regelmäßigkeit. Unter bestimmten Fragestellungen lassen sich viele Entscheidungen bei der farbigen Fassung leichter treffen. Eigentlich muss man lediglich konsequent sortieren und für alles, was gleich ist, auch den gleichen Farbton verwenden. Man kann nach verschiedenen Aspekten sortieren: nach Oberflächenstrukturen – was ist glatt, was rau; was hat gleiche oder ähnliche Funktion; was liegt in der gleichen Ebene; was erwächst aus der Architektur, was ist reine Dekoration?
Links: Flächen, die in der Fassade die gleiche Aufgabe haben, sollten auch in derselben Farbe gestrichen werden. Hier hätte die Fläche zwischen den Fenstern auch im Graubraun der übrigen Flächen, die die Fenster einrahmen, gefasst werden müssen. Die Fassung des Fassadenhintergrundes in einem einheitlichen Farbton durch alle Etagen ist korrekt. Es wäre jedoch ebenso möglich gewesen, das Erdgeschoss abzusetzen, um es deutlich als Sockelgeschoss zu interpretieren. Eine Vorgabe, die die Architektur durch das breite Sims liefert. Rechts: Trotz der stimmigen Farbauswahl ist die Gestaltung zu hinterfragen: Die Brüstung im EG des linken Erkers hätte wie die übrigen Flächen auch in Weiß gestaltet werden müssen. Obwohl die beiden Erker formal identisch sind, wurden sie in der Farbgebung unterschiedlich behandelt, einmal im Fassaden- und einmal im Schmuckton gestrichen. Bei der zurückspringenden Fläche in der Brüstung wurde beim rechten Erker der Farbtausch noch nicht einmal konsequent durchgeführt, statt der Innenfläche wurde der Viertelstab weiß abgesetzt!
Die einfachste Frage, die allen weiteren Fragen voran gestellt werden sollte, ist folgende: Was ist Hintergrund, was ist Vordergrund? Als Hintergrund einer Fassade sind die Flächen zu sehen, die den Baukörper bilden, wenn man sich alles andere wegdenkt. Alles, was sich aus dieser Ebene heraushebt, steht im wörtlichen Sinn im Vordergrund. Eine einfache Farbfassung kann aus der Differenzierung zwischen diesen beiden Ebenen bestehen – und bei vielen Fassaden ist dieses Schema bereits ausreichend.
Die Fenstereinfassungen sind in ihrer plastischen Form geschossübergreifend gestaltet. Durch die Verwendung des Fassadenfarbtons (Hintergrund) für die Konsolen und die Fensterstürze im 2. OG wird diese Einheit jedoch aufgelöst. Der starke Hell-Dunkel-Kontrast verstärkt diesen Effekt zusätzlich. Grundsätzlich ist die Gestaltung einer solchen Fassade in zwei Farbtönen möglich. In diesem Fall muss sauber unterschieden werden, welche Farbe für die Flächen (Hintergrund) und welche für die dekorativen Elemente (Vordergrund) verwendet wird.
Viel Schmuck, viel Farben? Es kommt darauf an Ein größeres Schmuckbedürfnis oder komplexere Dekorationen können jedoch der Grund für eine aufwändigere Farbfassung sein. Auch hier sollte die grundsätzliche Trennung zwischen Vordergrund und Hintergrund beibehalten werden. Für diese beiden Elemente kann man je eine Farbe auswählen und im nächsten Schritt innerhalb dieser Farbe über Variationen in der Sättigung und der Helligkeit gewisse Unterschiede schaffen. Beispielsweise die Fenstereinfassungen in einem Farbton, das in dieser Fenstereinfassung liegende Brüstungsfeld dagegen etwas dunkler oder heller halten.
Links: Sparsam in der Farbgebung, dennoch wirkungsvoll. Alle verputzten Flächen wurden in einem hellen Farbton gefasst, der in einem ausgewogenen Kontrast zur Fassadenfläche steht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Farbe aus einem Material oder einem Anstrich resultiert. Rechts: Weiß lässt die Kapitelle und das Rokoko-Medallion über dem Balkon dezent hervortreten ohne sie aus dem Gesamtzusammenhang zu isolieren.
Ob es neben den in Nuancen differenzierten beiden Bunttönen eines weiteren Schmuckfarbtons bedarf, sollte sorgfältig abgewogen werden. Dabei ist die Dosierung entscheidend. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dekorative Elemente zu betonen. Bei unausgewogenen Kontrasten besteht jedoch immer die Gefahr, ein Element zu isolieren und beispielsweise durch eine zu stark gesättigte Farbe aus dem Zusammenhang zu reißen. Für besondere Akzente bietet sich in vielen Fällen Weiß an, es setzt Licht und damit Glanzpunkte in einer Farbfassung.
Links & Rechts: Schlichte Fassade, Anfang 20. Jahrhundert. Der Schmuck fasst EG und 1. OG zusammen, 2. und 3. OG unterscheiden sich nur leicht. Die Gliederung besteht lediglich aus einem Wechsel von glatten und rauen Flächen, die nur durch angedeutete Fugen abgegrenzt sind. Die rauen Flächen sind in einem Beigeton abgesetzt, alle glatten Flächen sind Weiß. Das ist in gewisser Weise konsequent. Leider wurde dabei außer Acht gelassen, dass die weißen Flächen teilweise zur Fassadengliederung, quasi zum Vordergrund gehören, und das obwohl sie in der gleichen Ebene liegen wie die Hintergrundflächen. Durch die Behandlung aller glatten Flächen in Weiß wirkt die Gestaltung lückenhaft. Hier braucht es geradezu die Farbe, um dem Betrachter die Gliederung der Fassade zu verdeutlichen.
Der wichtigste Aspekt bei der beschriebenen Vorgehensweise ist die Tatsache, dass das Auge Flächen, die die gleiche Farbe aufweisen, als zusammengehörig wahrnimmt. Dabei spielt es fatalerweise keine Rolle, ob diese Fläche innerhalb einer Fassade tatsächlich in einem Zusammenhang stehen oder nicht. Farbe kann einen solchen Zusammenhang mühelos herstellen und für Unordnung sorgen. Gerade deshalb ist eine genaue Analyse vor der Farbplanung wichtig. Was gehört von der tektonischen Logik her zusammen? Was dieser Logik unterliegt, kann auch im gleichen Farbton gestrichen werden. So wird eine Fassade in ihrem Aufbau für den Betrachter nachvollziehbar.
Das Rot überhöht die Bedeutung der Brüstungs- und Giebelfeldern und verleiht ihnen das Gewicht einer Werbung. Sicherlich ein Hingucker, der Architektur wird diese Farbgestaltung jedoch nicht gerecht. Vor allem Im Sockel wirken die Giebel wie Fremdkörper.

Den zweiten Teil des Fachbeitrags zur Farbgestaltung von Historismus- und Jugendstilfassaden gibt es in der Printausgabe der MAPPE 08/2019

Foto: manuta/Adobe Stock
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