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23. März 2020
Redaktion
Gesundheit und Wohlbefinden

Gebäude als Arznei

Orte für Gesundheit und Wohlbefinden zu gestalten, wird zur Zukunftsaufgabe – in Zeiten der einschränkenden Maßnahmen in Folge der Coronavirus-Pandemie, die Menschen in die Isolation der eigenen vier Wände zwingen, wird das klarer denn je.
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Foto: DTI/Erismann

Heike H. sucht eine Wohnung. Nicht irgendeine, sondern eine, in der sie sich wohlfühlen kann, die wohngesund ist.Damit liegt die 33-Jährige voll im Trend. Laut einer Befragung für die Veröffentlichung »Wohngesundes Deutschland Studie 2018/2019« achtet die Mehrheit der Deutschen (80 Prozent) beim Kauf auf Wohngesundheit. 80 Prozent davon achten dabei ebenso auf Umweltverträglichkeit und 63 Prozent verlassen sich dabei auf Gütesiegel. Die Umfrage hat Benz24 in Kooperation mit dem unabhängigen Marktforschungsinstitut Innofact durchgeführt. Über 1.200 Wohneigentümer zwischen 18 und 69 Jahren und 80 Experten vom Berufsverband Deutscher Baubiologen VDB e.V. wurden zu ihren Baustoffkenntnissen und ihrem Kaufverhalten befragt und um eine Bedenklichkeitseinschätzung gebeten.

Die Indoor-Generation

Dass ein wohngesundes Umfeld wichtiger wird, zeigt die Tatsache, dass wir immer mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbringen – und das nicht erst, seitdem Menschen in Deutschland und anderen Ländern durch die Coronavirus-Pandemie dazu aufgefordert sind, sozialen Kontakt zu vermeiden und zu Hause zu bleiben. Schon zuvor hatte sich ein Trend entwickelt, der zeigt, dass Menschen von zu Hause aus Einkäufe erledigen oder Filme streamen statt ins Kino zu gehen. Dieser Rückzug ins Heim geht einher mit einer wachsenden Lust auf Gemütlichkeit. Studien der WHO sowie der US EPA zeigen, dass wir mit fast 22 Stunden im Durchschnitt 90 Prozent unserer Zeit in Gebäuden verbringen, schreiben die Autoren des Velux-Magazins. In der Studie »Indoor-Generation« des Marktforschungsinstituts YouGov antworteten 82 Prozent der Befragten, das sie weniger als 21 Stunden pro Tag in geschlossenen Räumen verbrächten, 62 Prozent gaben sogar weniger als 18 Stunden an. Im Durchschnitt sind die Befragten also der Meinung, 66 Prozent ihrer Zeit in geschlossenen Räumen zu verbringen. »Diese Ergebnisse zeigen eine deutliche Diskrepanz unserer Wahrnehmung und der tatsächlichen Realität«, heißt es im Velux-Magazin. »Wir sind die Indoor-Generation, ob uns das nun gefällt oder nicht.«

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Foto: DTI/Rasch
Ein gesundes Wohnumfeld beginnt bereits beim Bauen mit Fensterblicken ins Grüne.

Der im Velux-Bericht ans Licht gekommene Unterschied zwischen Wahrnehmung und Realität zeigt, dass wir uns der Wirkung des Indoor-Lebens auf Körper und Geist stärker bewusst werden müssen: »Wenn wir die immer häufiger auftretenden gesundheitlichen Probleme wie Schlafstörungen, saisonal bedingte Depressionen, Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Herzerkrankungen und Diabetes lindern oder zurückdrängen wollen, müssen wir handeln und sowohl unser Verhalten als auch unser Raumklima anpassen«, heißt es in dem Velux-Bericht. »Und dabei geht es nicht nur um gesundheitliche Probleme des Einzelnen, es geht auch um hohe gesellschaftliche Kosten durch medizinische Behandlung und Produktivitätsverluste. Wir müssen uns also unserer neuen Umgebungen bewusst sein und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das Leben in Gebäuden so gesund, glücklich und produktiv wie möglich zu machen.«

Schlechte Luft in Räumen ist ungesund

Die Luft in unseren Innenräumen könne bis zu fünfmal stärker mit Schadstoffen belastet sein als die Außenluft ‒ sogar in Großstädten, wissen die Autoren der Velux-Studie. Schlechte Luft macht krank: Das Sick-Building-Syndrom ist ein wissenschaftlich anerkanntes Phänomen, das auf krank machende Innenräume zurückzuführen ist. Besonders Kinderzimmer sind oft Räume mit der schlechtesten Luftqualität im Haus und damit die am stärksten mit Schadstoffen belasteten Räume. »Durch die hohe Aufent- haltsdauer (mehr als 90 Prozent der Lebenszeit) in immer stärker gekapselten Innenräumen wirken toxische Stoffe und Ausgasungen stärker als früher auf die Ge- bäudenutzer ein. Hier besteht vermutlich ein Zusammenhang zur steigenden Zahl der Allergien und unspezifischen Erkrankungen«, stellt natureplus, der Verein für zukunftsfähiges Bauen und Wohnen fest. Feuchte Wände oder Schimmelbildung in den Räumen erhöht die Wahrscheinlichkeit an Asthma zu erkranken um 40 Prozent und kann für weitere Krankheiten verantwortlich sein.

Beim Bauen fängt es an

Ein gesundes Umfeld zu Hause und bei der Arbeit beginnt bereits beim Bauen. Denn wenn die Baumaterialien schadstofffrei sind, kommt dies immer der Raumluftqualität zugute. Daher beschäftigt sich die Materialforschung verstärkt mit der Entwicklung von Biobaustoffen und damit, Ökologie und Nachhaltigkeit mit den gewohnten und bekannten Eigenschaften konventioneller Baumaterialien zu vereinen. Derartige Baustoffe etwa sind Bio-Verbundstoffe unter der Verwendung von Naturprodukten wie etwa schnell nachwachsende Rohstoffe, Naturfasern wie Stroh, Hanf und Flachs gemischt mit Bindemitteln auf biologischer Basis, und reine Naturstoffe.

Warum nicht die Natur in die Städte holen, warum nicht in die Wohnung oder ins Büro? Der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm hat hierfür den Begriff der »Biophilie« geprägt. Als Gestaltungskonzept hat es die Biophilie in die Welt des Bauens geschafft. Dort spricht man vom »Biophilic Design«, bei dem funktionale und schöne Gebäude in Verbindung zur Natur den Menschen positiv beeinflussen.

Beispiele für Biophilic Design sind lichtdurchflutete Gebäude, mit visueller Verbindung zur Natur durch Fensterblicke ins Grüne oder Blicke auf begrünte Wände, biomorphe Formen, Strukturen und Muster im Design und der Ausstattung des Gebäudes und seiner Räume, Möbel, Wandoberflächen und Böden aus Naturmaterialien und auch Pflanzen und Wasserelemente, die für ein angenehmes Raumklima und Behaglichkeitsgefühl sorgen und das Wohlbefinden der Nutzer fördern.

Tatsächlich scheint der Trend in der Architektur angekommen zu sein. Die Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern erklärt: »Standen in der Architektur lange Zeit funktionale Aspekte im Vordergrund, geht es künftig verstärkt um emotionale Qualitäten von Räumen. Als Prävention gegen Hektik, Stress und ungesunde Umwelteinflüsse werden Gebäude gewissermaßen zur Arznei. Innovative Strategien setzen auf eine heilende Wirkung von Räumen und auf Materialien als Teil ganzheitlicher Konzepte moderner Gesundheitsvorsorge.« In einem Report schreibt sie: »Inzwischen ist klar, wie sehr Design und Architektur die psychische und physische Gesundheit von Menschen beeinflussen. Adäquate Orte für Gesundheit, Genesung und Wohlbefinden zu gestalten wird zu einer wichtigen Zukunftsaufgabe.«

Auch die Politik scheint das verstanden zu haben. Bei der Vorstellung des Healthy Homes Barometer 2019, der die Gesundheitsrisiken von Kindern in ihrem Wohn- umfeld und in Schulen beleuchtet, sagte die dänische EU-Abgeordnete Christel Schaldemose: »Die europäische Politik sollte sehr darauf achten, dass beim Bau oder der Sanierung von Gebäuden nicht nur die Energieeffizienz betrachtet wird, sondern im gleichen Maß auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen, die darin leben und arbeiten.«

In dieselbe Richtung zielte Dr. Sabine Schonert-Hirz, als sie auf dem Hindelanger Baufachkongress 2020 sagte: »Gesundheit wird beim Wohnen Trumpf«. Im Gespräch führt sie weiter aus: »Wir sind über unsere Sinnesorgane, die Atmung, die Haut und die Schleimhäute ja immer sehr eng in unsere Umgebung eingebunden. So ist es wichtig, dass Bereiche wie etwa Licht und Luftqualität so beschaffen sind, dass die Gesundheit nicht gefährdet wird. Dazu kommt, dass das gesunde Wohnen und Bauen auch auf Abwesenheit von Schadstoffen, Strahlen und energiereichen Wellen achtet und großen Wert auf den richtigen Umgang mit Lärm legt.«

Trend mit viel Potenzial

In der Studie »Wohngesundes Deutschland« gibt der Zukunftsforscher Dr. Eike Wenzel diese Prognose ab: »›Places matter‹ ‒ die Orte, an denen wir uns aufhalten, werden für uns immer wichtiger. In dem Maß, wie wir beruflich permanent in global-virtuellen Welten unterwegs sind, wächst die Bedeutung des Vertrauten, unserer persönlichen Rückzugsorte, der eigenen vier Wände. So wie wir den Markt beurteilen, steht der Zukunftstrend Wohngesundheit erst am Anfang.«

Foto: manuta/Adobe Stock
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