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1. Juli 2023
Delia Constanze Roscher
#professionincolor

Mit Stil in die Zukunft

Livia Baum und Jutta Werner studierten beide Farbdesign und gründeten im Jahr 2012 ihre Agentur ZUKUNFTSTIL. Sie beraten Unternehmen rund um Farbdesign und -entwicklung, Trendscouting und Zukunftsforschung. Sie erzählen, wieso sie „Exotinnen“ in der Branche sind und ob sich Trends planen lassen.
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Foto: Anne Marie Bartoli
Livia Baum (l.) und Jutta Werner (r.).

Was versteht man unter einem Trend? Im Allgemeinen spricht man von Entwicklungen, die einen großen gesellschaftlichen Einfluss haben. In der Branche diskutieren wir sie jährlich: Farbtrends, Tapetentrends, Bodentrends. Die ganz großen Trends – sogenannte Makro-Trends – beeinflussen uns in unterschiedlichen Bereichen. Mikro-Trends „ploppen“ auf, ziehen sich irgendwann wieder zurück oder begleiten uns auch eine gewisse Zeit und verändern sich in kleinen Schritten.

Mit Trends setzen sich Livia Baum und Jutta Werner nicht erst seit der Gründung ihrer Farb- und Trendagentur ZUKUNFTSTIL auseinander. Die beiden lernten sich im Studium zur Farbdesignerin kennen und beendeten gemeinsam den Master an der HAWK in Hildesheim. Eine Zeitlang arbeiteten beide in unterschiedlichen Agenturen, bis bei Jutta eines Tages das Telefon klingelte. Livia schlug ihr vor, sich mit einer eigenen Agentur selbstständig zu machen. „Natürlich ist eine Selbstständigkeit immer ein Risiko“, erzählt Jutta. „Deshalb mussten wir mutig sein und haben es einfach probiert.“

Ein mutiger Schritt

Mit einer Förderung ging dann alles ganz schnell, 2012 gründeten sie ZUKUNFTSTIL mit Stammsitz in Hannover. Elf Jahre später sind beide froh, den Schritt gewagt zu haben. Auch, wenn es nicht immer einfach war. „Im Studium lernten wir schon viel über Selbständigkeit, die Realität ist dennoch anders. Als Frau hat man schon das Gefühl, sich stärker beweisen zu müssen“, sagt Livia. Im Studium bekamen sie den Tipp, über vorangegangene Arbeit in Präsentationen zu „protzen“. „Nicht unbedingt unsere Art“, erzählt Jutta lachend. „Wir wollen lieber mit unseren Inhalten und Ideen überzeugen.“ Heute schöpfen die beiden aus ihrer Erfahrung und einem treuen Kundenstamm. „Aus unseren Vorträgen haben sich schöne Verbindungen ergeben. Oftmals sitzt im Publikum jemand aus einem Unternehmen, mit denen sich im Anschluss interessante Projekte ergeben. Oder die Teilnehmenden empfehlen uns weiter“, erzählt Livia. Aber auch über ihre Website können sie immer mehr Kundinnen und Kunden gewinnen. „Da Farbdesign ein sehr spezielles Thema ist, sind wir doch irgendwie Exotinnen in der Branche.“

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Foto: ZUKUNFTSTIL
In ihren Vorträgen sprechen Liva und Jutta über ihre Arbeit. Dadurch haben sich schon einige Projekte ergeben.

Trends wissenschaftlich betrachtet

Basis ihrer Arbeit sind die Trendpanels, die sie auch gerne mit dem Institut International Trendscouting (IIT) an der HAWK durchführen. Diese machen sie regelmäßig, etwa zwei oder dreimal im Jahr. Gemeinsam mit anderen Expertinnen und Experten wird Bildmaterial gesichtet, welches alle Teilnehmenden gesammelt haben. In einer Art Intensivworkshop wird über Entwicklungen in den Bereichen Design, Farbe, Innenraum, Wandgestaltung, Boden oder Stilistik- und Raumatmosphäre diskutiert. „Wir sprechen über gesellschaftliche Themen, die sich im Design widerspiegeln. Dabei ist uns wichtig, was man da sieht, woher das kommt und welchen Ursprung es hat“, erklärt Livia. Für ihre Trendanalyse nutzen Jutta und Livia eine Studie, die sie bereits im Studium begannen und die immer weitergeführt wird. „Wir analysierten den Wohnraum von 1950 bis heute. Wir können sehen, welche gesellschaftlichen Ereignisse sich auf die Farben oder Materialien abgeleitet haben. Ende der 1970er Jahre war beispielsweise die Ölkrise und auf einmal wurde der Wohnraum braun und holzig und es gab viele florale Muster“, erklärt Jutta. Aus der Vergangenheitsbetrachtung können sie ableiten, welche Trends sich in Zukunft auftun könnten.

Trends haben einen zyklischen Rhythmus, erklärt mir Jutta weiter. „Es gibt Trends, die sich alle paar Jahre wiederholen, ablösen oder neu interpretiert werden.“ Kann man einen Trend etwa planen? „Planen nicht, aber man kann durchaus einen Trend setzen oder eine Entwicklung pushen,“ erklärt mir Livia. Man kennt es aus der Mode: Trendsetter setzten Impulse, die von anderen adaptiert werden. So ist es auch mit Farbtrends. „Vor etwa fünf Jahren konnten wir schon sehen, dass Pink wieder Trend wird. Damals begannen die 1990er Jahre wieder modisch zu werden. Und in diesem Jahr ist Viva Magenta die Farbe des Jahres“, resümiert Livia.

Vertrauen ins „Farbgedächtnis“

Die Zusammenarbeit mit Kundinnen und Kunden dauert unterschiedlich lang. Eine Trendrecherche kann sich durchaus über einige Monate hinwegziehen. „Wir müssen erstmal herausfinden, was es auf dem Markt gibt und wie wir das für das Unternehmen individualisieren können. Auf Basis der Trendanalyse entstehen dann viele weitere Projekte, von Trendbüchern, Beratungsmedien über Messeplanungen oder ähnlichem“, so Jutta. Viele Projekte laufen parallel und sie greifen auf ihr Netzwerk zurück, um sich Unterstützung zu holen. Zudem sind sie viel auf Messen unterwegs und beobachten, was sie dort sehen. „Was auf Messen präsentiert wird, ist dem Markt circa drei Jahre voraus. „Das ist für die Farbfindung eine wunderbare Inspiration.“ Gemeinsam mit dem Unternehmen wird dann über gesellschaftliche Ereignisse diskutiert und sie versuchen ein Thema zu finden, dass auf die Farben übertragen werden kann. „Wir veranschaulichen das Thema auf eine Weise, die leicht verständlich ist und sowohl im Farbraum als auch auf dem Produkt nachvollziehbar gemacht werden kann.“ Dabei verlassen sie sich auf ihr „Farbgedächtnis“: „In jedem Trendpanel schauen wir uns bis zu 5.000 Bilder an. Aus den entstehenden Bilderwolken ziehen wir dann die Farben heraus, die für das Unternehmen relevant sind“, erklärt Livia. Auch das Vertrauen spielt eine maßgebliche Rolle. Jutta und Livia genießen einen großen Gestaltungsspielraum, der es ihnen ermöglicht, in ihren Analysen und Konzepten frei vorzugehen. Dadurch können sie nicht nur den Fortschritt eines Unternehmens verfolgen, sondern auch aktiv an den Veränderungen teilhaben und mitgestalten.

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Foto: ZUKUNFTSTIL
In jedem Panel werden bis zu 5.000 Bilder gesichtet.

Blick in die Zukunft

Einen kleinen Trend-Ausblick verraten mir Jutta und Livia zum Schluss: „Als Ausblick in die nächsten Jahre, werden neben den sensiblen und sensitiven Farben, die uns gerade auch schon begleiten, starke und intensive Töne dominieren. Viele Trends spielen mit lebendigen Kontrasten, wie dem Komplementär- oder auch Hell/Dunkel-Kontrast, sowie exzentrischen Formen und Mustern in den Produkten. Auch ein Revival der 1970er Jahre im Innenraum wird sehr spannend und interpretiert viele Braun-, Orange- und Gelbtöne neu.“

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Foto: manuta/Adobe Stock
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