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»Weil Selbstgemachtes ›in‹ ist, ist es zu einem Statussymbol geworden.« sagt Dr. Reinhild Kreis, Akademische Rätin an der Universität Mannheim. Foto: Privat

Wir waren aktiv, haben selbst unsere Lebensmittel erzeugt, überwiegend mit den Händen gearbeitet. So ist es nicht verwunderlich, dass Büromenschen den Ausgleich im Do-it-yourself suchen, sie möchten kreativ sein, mit ihren Händen selbst etwas erschaffen. Das Tun und hinterher das Ergebnis macht glücklich und zufrieden.
Früher war es für die meisten Menschen, vor allem auf dem Land selbstverständlich, so viel wie möglich selber zu machen. Viele konnten sich keinen Handwerker leisten, Malerarbeiten usw. wurden selbst erledigt. Nur beim Strom, da war schon immer der Fachmann gefragt. Für andere ist es auch heute noch ein Triumph, soviel wie möglich selbst zu machen. Wenn das gewünschte Möbelstück nicht erschwinglich oder zu teuer erschien, legten viele selbst Hand an. Heimwerken wurde zum Hobby.
Im Interview erzählt Dr. Reinhild Kreis mehr darüber. Sie ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim und Buchautorin des Buches „Selbermachen – eine andere Geschichte des Konsumzeitalters“, das im November erscheint.
Mappe: Frau Dr. Kreis, was bringt das Selbermachen den Menschen heute, warum ist es so „in“?
Dr. Reinhild Kreis: Selbermachen ist seit ca. 15 Jahren Trend, es ist ein großer Trend. Das zeigt sich unter anderem an den vielen Publikationen über das Selbermachen und an den Plattformen, wo Selbstgemachtes verkauft wird. So etwas wäre vor zwölf Jahren nicht denkbar gewesen. Das Selbermachen heute hat wenig mit Geldersparnis zu tun, denn oft sind die selbst hergestellten Dinge letztendlich teurer als im Laden gekaufte Ware. Heute geht es mehr um das Gefühl von Leistung und Kompetenz, um Selbstwert und Kreativität und Unabhängigkeit. Das ist ein Gefühl, das durch Werbeversprechen gespeist wird. Do-it-yourself ist ein Riesenmarkt, denn um etwas herzustellen, braucht es häufig teure (Spezial-) Werkzeuge und Materialien. Weil Selbstgemachtes in ist, ist Selbermachen zu einem Statussymbol geworden.
Das funktioniert aber nur, wenn Menschen die Wahl haben und nicht aus der Not heraus gezwungen sind, Dinge selbst herzustellen. Dann ist es eher ein Stigma. Das Selbermachen kam in den letzten 100 bis 120 Jahren immer wieder in Mode, in wiederkehrenden Zyklen, als Abgrenzung zu dem, was vorher war. Auch dieser Boom wird wieder abebben. Nach Zeiten des Mangels, wie in den Weltkriegen, war es eine Erleichterung etwas fertig kaufen zu können. In Zeiten, wo es alles, überall und zu jeder Zeit zu kaufen gibt, haben Selbstgemachte Sachen einen besonderen Stellenwert. Es gibt aber auch einen sozialen Druck, etwas selbst zu machen: So wird erwartet, dass eine gute Hausfrau ihren Gästen selbst-gebackenen und nicht gekauften Kuchen anbietet. Selbermachen hat auch eine geschlechtsspezifische Dimension, denn die Zeit von Frauen, vor allem, von den nicht berufstätigen, gilt als weniger Wert, als die von Männern.
Mappe: Welchen Einfluss haben Krisen wie die Corona-Pandemie auf das Selbermachen?
Dr. Reinhild Kreis: Ich kann hier nur meine Beobachtungen wiedergeben, es sind Mutmaßungen – die Ereignisse in der Pandemie müsste erforscht werden. Für uns Menschen, die ja in einer Konsumgesellschaft leben, war der Shutdown eine grundlegende Erfahrung. Dass es bestimmte Dinge nicht mehr zu kaufen gibt, war für viele Menschen neu und zeigte die Abhängigkeit auf, alles jederzeit kaufen zu können. Um dieser Unsicherheit aktiv etwas entgegenzusetzen, haben viele begonnen Brot zu backen, Gemüse anzubauen etc., um sich mit essentiellen Dinge versorgen zu können. Hinzu kam, dass viele in dieser Phase mehr Zeit hatten. Die Medien haben die Mangelsituation mit Bildern leerer Regale aufgegriffen und Menschen beim Selbermachen gezeigt, was für viele Ansporn war, das auch zu tun. Gleichzeitig hat in der Shutdown-Phase eine gegenläufige Entwicklung mit dem Boom von Online-Bestellungen und Lieferdiensten eingesetzt. Somit ist durch Corona keineswegs ein neues Zeitalter des Selbermachens angebrochen.
Generell haben Krisen mit großen Mangelsituationen wie in den Weltkriegen, aber auch die Nachschubmängel in der ehemaligen DDR einen Einfluss auf das Selbermachen. Doch da gibt es keine Automatismen. Früher waren arme Menschen gezwungen vieles selber herzustellen, weil sie sich die Produkte im Laden nicht leisten konnten. Als dann beispielsweise Kleidung von der Stange angeboten wurde, konnten auch arme Familien Kleidung kaufen. Heute stellt sich jedoch die Frage, was ist teurer, der Kauf oder das Selbermachen? Soziale Studien zeigen auch, dass die Bevölkerungsgruppe, die am wenigsten selber macht, die Arbeitslosen sind.
Mappe: Welche Bedeutung hat die DIY-Bewegung in Bezug auf Nachhaltigkeit?
Dr. Reinhild Kreis: Es ist längst nicht mehr so, dass Selbermachen per se nachhaltig ist, denn es braucht dazu viele Voraussetzungen, viel Konsum im Vorfeld. Das sind ganz neue umfangreiche Konsumanreize und erhebliche Investitionen, etwa die Profi-Spezialbohrmaschine, die dann einmal im Jahr benutzt wird. Wenn beim Tapezieren sehr viel mehr Reste anfallen, als bei einem Profi, der es gelernt hat materialsparend zu arbeiten, ist das nicht nachhaltig. Fertig gekaufte Dinge können oft viel effizienter und ressourcensparender hergestellt werden, weil alles durchrationalisiert ist. Heimwerken erzeugt Müllberge, Reste von Klebern, Lacken, Farben etc., ungenutzte Dinge. Hier gibt es auch weniger Kontrolle über die umweltgerechte Entsorgung. Das gilt auch für die Reinigung von Anstrichwerkzeugen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine generellen Aussagen gibt, über „den Selbermacher“ oder „das Selbermachen“ hinsichtlich der Frage, ob es auch wirklich günstiger ist, ob es eine Entscheidung gegen Konsum ist, und eben auch, was die Nachhaltigkeit betrifft. Das muss immer ganz genau betrachtet werden: Wer macht was auf welche Art und Weise?
Mappe: Wodurch lassen sich junge Menschen, auch digital Natives, für das Selbermachen begeistern?
Dr. Reinhild Kreis: Da gibt es viele Ebenen, allen voran die große Auswahl anTutorials im Internet, Anleitungen, die jederzeit abrufbar sind, die immer wieder angesehen werden können, Schritt-für-Schritt. Das senkt die Hemmschwelle des Selbermachens enorm. Auch gibt es in der Gesellschaft die Anforderung kreativ zu sein, nachhaltig zu leben, was mit Selbermachen in Verbindung gebracht wird, auch wenn es nicht immer stimmt. Viele Jugendliche machen auf einer anderen Ebene viel selbst, etwa wenn sie programmieren, eigene Videos und Tutorials herstellen. 3D-Drucker und die Maker-Bewegung sind weitere Anreize, die aber nicht überall angeboten werden.
Mappe: Wie kann der DIY-Trend das Interesse an einer Ausbildung im Handwerk bei jungen Menschen wecken?
Dr. Reinhild Kreis: Die Baumärkte suggerieren den Heimwerkern, dass jeder alles machen kann, wenn er nur die richtigen Werkzeuge und Materialien – natürlich aus dem Baumarkt – dafür hat. Auch die Terminologie mit Begriffen wie „kinderleicht“ oder Aussagen wie „Ich kann alles allein, dazu brauche ich keinen Handwerker“ sind ja eher kritisch für das Handwerk. Wenn es gelingt, den Unterschied von Handwerksqualität und Heimwerkerarbeit darzustellen sowie die hohe Effizienz gelernter Handwerker und der wesentlich geringere Zeitaufwand, dann kann das zu einem neuen Respekt für die Handwerkerleistung führen.
Mappe: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Dr. Kreis.
In der Mappe 10.2020 lesen Sie mehr dazu, was der Trend für die Gesellschaft bedeutet und wie er sich auswirkt, aber auch wie Handwerker den Kundenwunsch nach Do-it-yourself aufgreifen können, damit eine Win-Win-Situation entsteht und die Wertschätzung für das Malerhandwerk steigt. Beispiele mit ganz unterschiedlichen positiven Erfahrungen aus dem Malerhandwerk runden das Thema ab.
 

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